Maenner wie Tiger
Harry war aus der Bar getreten, mit einem Drink in der Hand. Er ließ sich draußen nieder. Der grellgelbe Schein aus der offenen Tavernentür ließ uns im Dunkeln – wahrscheinlich hatte er uns nicht gesehen. Miguel bat mich: »Sagen Sie ihm, daß ich es bedaure. Ich hab’ ihn sehr bös gemacht. Das wollte ich nicht, wirklich nicht.«
»Reg dich nicht auf, Miguel!« Für heftige Gemütsbewegungen war es zu heiß. Ich hatte seit unserer Ankunft schon zweimal das Hemd wechseln müssen. »Er bleibt nie lange bös.«
»Ich möchte doch, daß er mich mag.«
»Warum?«
Miguel sah mich an und sagte freimütig: »Weil ich ihn so sehr bewundere. Er ist der beste Mensch, der mir je begegnet ist.«
Miguel war es gegeben, andere anzubeten. Sein zartes, bildhübsches Gesicht glühte. Meiner Meinung nach hätten Frauen bei ihm schwach werden müssen, aber letztlich verlangen sie natürlich mehr von Männern als bloß ein Filmgesicht, sie verlangen auch ein wenig Rauhheit. Attraktive Männer sind selten vollkommen, auch Harry ist es nicht.
»Wirklich?« fragte ich Miguel.
»Sie glauben es also nicht?« Miguel schien erstaunt.
»Doch. Er ist ganz in Ordnung, so wie er ist. Natürlich mag ich ihn.« Die Frauen würden ihn auch mögen, dachte ich, gäbe er ihnen Gelegenheit dazu.
»Er sorgt sich um uns.« Bevor ich noch einwenden konnte: »Nun, dafür bezahlt man ihn ja«, fuhr Miguel fort: »Er fürchtet sich nicht vor der Verantwortung. Er entscheidet für uns. Er ist ein ganzer Kerl.«
»Trink deinen Brandy!« sagte ich.
»Mir schwindelt davon.«
»Du darfst aber Harry nicht sagen, was du von ihm hältst.«
»So?«
»Er hat es nicht gern, wenn man ihn anbetet. Er ist widerborstig wie ein Stachelschwein. Wahrscheinlich würde er dir ins Gesicht spucken.«
»Aber Sie werden ihm doch sagen, daß ich’s bedaure?«
»Nein. Wofür sollst du dich entschuldigen? Dein Sexualtrieb ist deine eigene Sache.«
Die Nadel in der Musikbox bewegte sich über die Platte, und aufstoßend begann der Samba nochmals von vorn: ein Vergnügen, das die Leute hier sozusagen umsonst hatten. Sie lehnten sich aus den Fenstern und lauschten. Der Mond rückte langsam zwischen die Doppeltürme der Kirche, die den Sternenhimmel verdeckten. Es war eine Kirche der Compañia – der Jesuiten also. Die Häuser links und rechts der Gasse neigten sich zueinander hin, als sammelten sie seit zwei Jahrhunderten Mut für ihre Liebe. Bei Tag sahen sie hübsch aus mit ihren grünen und roten Dachziegeln. Auch die Nacht war segensreich für sie, dann nämlich konnte man die Scharen angriffslustiger Küchenschaben nicht sehen. Immer jedoch, Tag und Nacht, hing der süßliche Geruch faulenden Abfalls in der Luft.
Harry hatte uns bemerkt. Er beobachtete uns, seine Augen leuchteten im Halbdunkel. Ich winkte, und er nickte. Doch zeigte er keine Lust herüberzukommen.
»Dieses Geschwätz da im Flugzeug …«, flüsterte ich, »das hat dich doch nicht wirklich interessiert?«
»Wieso?«
»Nun ja, ich meine die Mädchen: wie sie gebaut sind und so. Hast du schon mit einer Frau zu tun gehabt, Miguel?«
»Ich? In meinem Alter?« Er errötete. Und ich dachte: Mit Zwanzig, das ist beachtlich. Mit Zwanzig war ich schon ein Veteran des Sexualkriegs, erinnerte ich mich vergnügt. »Für Charley ist das alles so aufregend«, fügte Miguel hinzu.
»Was bleibt ihm schon übrig? Häßlich wie er ist.«
»Armer Charley!«
»Komisch häßlich. Für ihn ist’s aufregend, weil er sich’s kaufen muß. Immer noch hofft er, eine Frau wird einmal zu ihm sagen: Charley, amigo, wie gut du’s kannst, ich liebe dich um deiner selbst willen!«
»Vielleicht passiert es einmal? Wenn die Hunde mit dem Schwanz bellen, wie es so schön heißt.« Ich wandte meinen Blick wieder der hellerleuchteten Taverne zu. Drinnen saß Charley allein an einem Tisch und sah sehnsüchtig zu uns her. Er fing meinen Blick auf und winkte uns heftig, zu ihm zu kommen. Nein, danke schön, dachte ich, hier draußen sind die Moskitos weniger blutdürstig.
Da knarrte die Bank, auf der ich saß. Harry hatte sich neben mich gesetzt, hatte seinen Drink mitgebracht.
»Die Polsterung ist nicht gerade hygienisch«, meinte er scherzhaft.
»Die Vögel? Das ist wie Kalk, das läßt sich abwischen.«
»Was ist mit Charley los?« fragte er mich. »Warum?«
Harry wandte sich um. »Schau dir das an, der gebärdet sich ja wie ein Verrückter da drinnen.«
»Laß ihn!« Die Lampe auf Charleys Tisch qualmte wie ein
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