Maenner wie Tiger
sagte: »Was willst du, daß ich tu’? Sie bemitleiden? Ja, ich bemitleide sie.« Ich glaubte schon, er gäbe nach. Aber er blickte immer noch zu den Männern hinüber. »Doch meine Treue zu denen da draußen ist stärker. Die bemitleide ich mehr.«
In seinem Ärger hatte er gegen das Schachbrett gestoßen und setzte nun die Teile wieder zusammen. Plötzlich fegte er mit der Hand die Figuren fort, als wäre ihm die Lust am Spiel vergangen.
»Wird jetzt endlich einer den Krawall abstellen?« brüllte er hinüber.
Keiner antwortete. Wahrscheinlich hatte es keiner hören können.
Er rief: »Jan!«
Jan Uschtschinski, Leos Chefmonteur, kam herüber.
»Jan, es geht hier wie auf einem Jahrmarkt zu!«
»Das beruhigt die Nerven.«
»Dafür habe ich Pillen.«
»Doch keine Pillen für das, was ihnen fehlt.«
»Ich will jetzt eine Party sehen«, erklärte Luke. »Pflanzen wir Tomasino ein!«
»Eine Begräbnisparty? Auch gut.«
»Bei dieser Gelegenheit könnten wir auch Barney in die Grube schaffen.«
»Kümmere dich nicht um Barney! Den laß uns«, sagte Jan, formell, aggressiv, indem er sich für jedes Wort sehr viel Zeit nahm.
Alles war jetzt anders. Keine Achtung, kein Respekt mehr. Ich sagte mir: Die Sklaven herrschen in Spartacus.
Leo sah Jan scharf an. »In dieser Hitze darf er nicht lang liegen.«
»Er hat’s nicht eilig«, erklärte Jan und ging.
Ich folgte ihm nach.
»Jan, kannst du sie nicht fortschicken?«
»Kannst du’s?«
»Versuch’s doch, Jan!«
»Ich könnte es, aber ich will nicht.«
»Ich hielt dich immer für einen Christen.«
»Ich mich auch. Offenbar bin ich keiner, bin nur ein Mann.«
Ich zeigte auf Harry. »Du wirst ihn nicht ändern.«
»So?« Warum schickt denn niemand die Mädchen hinein? fragte ich mich. Denn nicht Harry war es, auf den er blickte. »Geben wir ihm ein paar Stunden Zeit zum Nachdenken«, fuhr er fort. »Dann werden wir sehen.«
Jan suchte vier Männer aus. Sie gingen Hacken und Schaufeln holen.
Ich war zermürbt, ich fühlte mich allein, furchtbar allein. Beim Flugzeug konnte ich Miguel eifrig am Motor arbeiten sehen und dachte: Vielleicht ist das sein Ausweg. Dann überquerte ich den Platz und hielt bei den Männern an, als befände ich mich vor einem Grenzbalken, so fremd war das Land dahinter. Harrys Gesicht konnte ich im Schatten der Veranda nur undeutlich sehen. Keiner kann einsamer sein als er, dachte ich. Warum sie ihn nicht überfallen? Ist dies noch ein letzter Rest von Respekt? Wahrscheinlich wissen sie nicht, daß er die Gewehre zerbrochen hat.
Unter denen, die im Gras kauerten, erkannte ich Toussaint, Lukes Pharmazeuten, erkannte ich Carlos Gomez, Charleys mexikanischen Küchengehilfen. Verärgert sagte ich dem Mexikaner: »Weißt du eigentlich, was du tust?« Ich hatte ihn bei den Armen gefaßt. Er aber schüttelte mich ab, als wäre ich ein unmanierliches Kind.
»Sie sollten sich heraushalten, Senhor Juan!«
»Auch du solltest das.«
»Bitte gehen Sie!«
»Weißt du eigentlich, was du tust?« fragte ich nochmals.
»Vielleicht.«
»Und du bist Katholik?«
»Gewiß.«
»Du begehst eine Todsünde.«
Er wandte mir sein grobgeformtes, gequältes Bauerngesicht zu und sagte: »Auch andere sündigen, vielleicht sündigt sogar Gott.« Dann tat er etwas, das mich abstieß, mich verwirrte. Er legte seine Hand zwischen seine gespreizten Beine. »Das macht uns leiden. Kann ich etwas dafür? Vielleicht ist dies alles Teil derselben Sünde.«
»Du wirst dafür einstehen müssen.«
»Sicher. Aber ich glaube an die himmlische Gnade«, entgegnete er ernst. »Ich glaube an die Kraft der Reue. Ich werde bereuen.« Er sah zum Balkon hinauf. Die Mädchen waren fort. »Aber nachher«, fügte er hinzu.
Ich dachte: So also richtet man sich’s! Jetzt kann ich die Kraft der Religion verstehen. Die Pfaffen haben es ihm nicht allzu gut erklärt.
Dann sagte er noch etwas, das mich gleicherweise beunruhigte. Es hörte sich an wie aus der Bibel, war jedoch seltsam unausgegoren: »Wir dürsteten«, sagte er, »da hielt man uns den Kelch hin. Wir nahmen ihn, und man riß ihn uns von den Lippen. Das war grausam.«
»Die Mädchen hielten keinem von euch den Kelch hin.«
»Bist du dessen sicher?« stieß Toussaint hervor.
»Ich sprach nicht mit dir.«
»Weißt du denn nicht von der Mutter …?«
»Fang nicht wieder davon an!«
»Wenn du’s nicht hören willst, dann geh!«
»Du Tier!«
»Auch Tiere leiden.«
Ich dachte: Jetzt weiß ich, was es ist.
Weitere Kostenlose Bücher