Maennerfallen - Ein Mira-Valensky-Krimi
Unter einer radikalen Feministin verstehe ich eine Frau, die mit vollem Einsatz und ohne Rücksicht auf ihre persönliche Befindlichkeit für die volle Machtteilhabe und Gesellschaftsgestaltung von Frauen eintritt. Also: Es geht um viel mehr als die sogenannte Gleichstellung. Es geht darum, dass Frauen das Recht haben müssen, die Spielregeln der Männer abzuschaffen, die Gesellschaft mitzugestalten und sie zu verändern. Was wohl mehr als notwendig ist. Gerade wenn wir uns Europa und die EU ansehen. Wer ist in allen Krisenstaaten an der Macht? Männer!“
„Ist Nicole Moser Ihrer Meinung nach auch so eine radikale Feministin?“
„Ist das jetzt Teil des Interviews?“
„Ja.“
„Ich kenne die Frau nicht. Ich nehme nicht an, dass sie sich bisher intensiv mit Machtstrukturen und ihrer notwendigen Veränderung beschäftigt hat. Dazu ist sie wohl auch noch zu jung. Aber ich wünsche mir, dass es bei ihr und bei vielen anderen dazu kommt.“
„Jetzt haben Sie mit ganz schön vielen Worten Nein gesagt.“
„Manches Nein braucht eben viele Worte.“
Ich verspreche ihr, zur Demo zu kommen. – Und füge im Geist hinzu: oder Zen zu schicken. Maggy Körmer kündigt an, mir eine Mail mit Infomaterial zu schicken.
Viel wichtiger ist es, Jana zu erreichen. Sie muss Nicole dazu bringen, ihren Widerruf zurückzunehmen. Ich werde die Titelseite entwerfen und ich werde das Interview schreiben. Wenn ich es ihr schicke und es gefällt ihr, wird sie ihre Meinung ändern. – Und was, wenn sie einfach nirgendwo mehr vorkommen möchte? Die Anzeige gegen den Bestsellerautor läuft, ihre Aussagen wird sie wohl nicht zurücknehmen. Was hat sie gesagt? Dass dieser Pauer gar nicht so unsympathisch gewirkt habe. Und noch was … sie war irritiert, dass er auch bei mir versucht hat, seinen Charme spielen zu lassen. – Bloß weil sie nicht glauben kann, dass er eine Beinahefünfzigjährige eines Blickes würdigt? Mira, versteig dich nicht in psychologische Deutereien.
Apropos Beinahefünfzigjährige: meine Vorfeier. Ich habe sie versprochen. Ich kann nicht kneifen, sonst glaubt Vesna erst recht, ich habe ein Problem mit dem herannahenden runden Geburtstag. Außerdem: Ein bisschen Idylle am häuslichen Herd ist zwar nicht gerade der Radikalfeminismus, den sich Maggy Körmer wünscht, dafür aber genau das, was ich brauche, um bei gesundem Menschenverstand zu bleiben. Ich habe noch heute und morgen, um meine Reportage zu machen. Die Frauendemo kann vor allem gute Bilder bringen, vorausgesetzt, es kommen wirklich viele auf den „Heldinnenplatz“. Was geredet wird, ist absehbar. Und stimmt wohl ohnehin ziemlich mit dem überein, was ich mir denke. Die Sache mit dem Vergewaltiger, der nur sechs Monate Haftstrafe bekam und sie mit Fußfessel ableisten konnte, ist durch alle Medien gegangen. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn sie sexuelle Gewalt nicht so schlimm findet wie einen mittelgroßen Diebstahl? Zen hat eine Riesenfreude, dass ich sie hinschicke und die besten Sager auswählen lasse. – „Sager“: Geht es auch bei mir bloß um „Sager“? Na ja, wenn etwas auf den Punkt gebracht wird, ist es eben leichter zu verstehen. Muss deswegen nicht immer dumm sein. Ich werde in der Redaktion sein, auf ihren Text warten und ihn einbauen. Netterweise beginnt die Demo schon um fünf am Nachmittag. Maggy weiß, dass sie so auch noch einige Tageszeitungen vor Redaktionsschluss erreicht. – Organisiert wirklich sie die Demo? Wer ist sonst noch dabei? Was macht Maggy Körmer eigentlich beruflich? Als ich sie vor einigen Tagen gegoogelt habe, ist sie bloß im Zusammenhang mit diversen Frauenaktionen aufgetaucht. Offenbar hat sie an einem Uni-Institut Vorträge über Feminismusgeschichte gehalten. Aber davon kann man wohl nicht leben. Soll ich sie noch einmal anrufen? Besser, ich warte auf ihre E-Mail.
Am Abend nach dem Redaktionsschluss gibt’s dann zum Ausgleich das Familienessen. Weil das Leben eben zum Glück viele Seiten hat. Ich sollte sehen, ob alle Zeit haben. – Nein! Die Sache mit Nicole ist wichtiger. Ich versuche es noch einmal bei Jana. Keine Antwort. Dann bei Vesna. Bloß der Anrufbeantworter. Mira, die müssen auch nicht rund um die Uhr für dich verfügbar sein.
Ich mache mich an die Arbeit und schreibe ein Interview, das so etwas wie die wahre Geschichte der Nicole Moser werden soll. Ich durchstöbere unser Archiv nach Fotos und finde eines, das ich selbst gemacht habe und das perfekt für die Seite eins
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