Männerlügen - warum Frauen immer die Wahrheit wissen wollen und Männer behaupten, dass es die gar nicht gibt
geschlichen, entkleidet und war zu ihr in die Dusche gestiegen. Jetzt streichelte er sie zärtlich entlang der Hüften und zog sie an sich.
»Tut mir leid.«
»Mir auch. Nein, Rainer, stimmt nicht. Mir tut nichts leid.
Was sollte mir denn leid tun?«
»Dass du so schnell ausrastest.«
»Okay. Aber das hat andere Gründe.«
»Welche?« Rainer cremte ihren Rücken mit Duschgel ein und massierte ihren Nacken am Haaransatz.
»Will ich jetzt nicht drüber reden.«
»Also doch.«
»Nein!« Amelie zögerte einen Moment. »Okay. Mein Chef hat mich begrapscht und ich ärgere mich, dass ich ihm nicht gleich eine gelatscht habe.«
»Was hat der?«
»Mich an den Brüsten befummelt, als ich bei ihm im Büro war. Ich komme mir so feige und billig vor, weil ich einfach nur seine Hände weggeschoben habe, irgendwie ›nicht-jetztnicht-hier‹-mäßig, verstehst du? Ich hätte ihm eine semmeln sollen.«
»Zeig ihn an.«
»Wie denn? Es gab keine Zeugen.«
Rainer begann sich aufzuregen, stieg aus der Dusche, reichte Amelie ein Handtuch. »Egal. Du gehst zum Personalrat und erzählst, was passiert ist. So wie dieser alte Sack aussieht und so wie du aussiehst, wird man das sofort glauben. Da brauchstdu keine Zeugen. Ist doch auch klar, dass er dich nicht in Anwesenheit von Zeugen belästigen würde.« Rainer schlüpfte in seinen Bademantel und ging raus.
Er saß an seinem Laptop und googelte, als Amelie mit noch nassen Haaren und in ein Badetuch gehüllt zu ihm kam.
»Hier: ›Als Opfer einer sexuellen Belästigung steht Ihnen das Beschwerderecht zu, dem der Arbeitgeber gemäß Paragraph 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nachgehen muss und für die Unterlassung der Belästigung Sorge zu tragen hat.‹«
»›Beschwerderecht‹. Wie das schon klingt. Als wäre ich so ’ne vertrocknete Motze. Ich will ihm einfach nur eine reinhauen.«
»Willst du warten, bis er es wieder macht? Wenn jetzt nichts passiert, denkt er, du stehst drauf.«
»Die werden das eh untern Teppich kehren.«
»Umso besser. Dann rück ich mit dem Sender an. Tittengrapscher kommen immer supergut.«
»Ach, darum geht’s dir also. Ums Punktesammeln fürs eigene Profil.«
So schlitterten sie unaufhaltsam in den nächsten Streit. Noch waren sie nicht an dem Punkt angelangt, wo es egal war, um was man stritt, noch zählten die Argumente. Und Rainers moralisches Diktum, dass die Wahrheit ans Licht müsse, setzte sich schließlich durch. Am folgenden Montag erschien Amelie beim Personalrat. Es kam wie von Rainer vorhergesehen. Man glaubte Amelie. Der Vorgang wurde zur Zentrale weitergereicht. Drei Tage später hatte der Chef sich krankgemeldet.
Am vierten Tag stand plötzlich eine unscheinbar wirkende Frau mittleren Alters am Schalter der Airline und bat Amelie um ein Gespräch. Da der Dubai-Flieger gerade abgefertigt war, hatte Amelie Zeit. Sie meldete sich ab und ging mit der Frau in ein Café im Shoppingbereich, wo sie erleichtert ihr Hütchenmit dem Minischleier ablegte. Die Frau stellte sich vor als Marianne Tolar.
»Tolar? Sind Sie die Frau meines Chefs?«
Die Frau bejahte. Es sei ihr nicht leichtgefallen hierherzukommen, sagte sie. »Erzählen Sie es bitte nicht meinem Mann. Er weiß nichts davon.« Sie habe natürlich von den Vorwürfen gegen ihn gehört, und sie zweifle keinen Augenblick daran, dass sie zuträfen. Damals bei der Austrian habe er sich bereits mehrfach in ähnlicher Weise übergriffig gezeigt. Dies sei auch in seiner Personalakte vermerkt, und deshalb drohe ihm nun die fristlose Kündigung. Das habe sie, Amelie, sicher nicht gewusst, als sie die Beschwerde einreichte.
»Das musste ich auch nicht wissen, Frau Tolar. Das musste Ihr Mann wissen, als er mich begrapschte.«
»Natürlich, natürlich«, lenkte die Frau ein. Sie wolle ihren Mann auch gar nicht entschuldigen, obwohl sie, wenn sie Amelie sähe, zumindest die Verlockungen erkenne, denen ihr Erwin ausgesetzt sei. »Vor allem, wenn er so eine graue Maus wie mich zuhause hat.«
»Was wollen Sie von mir?« Amelie hatte keine Lust, diesen Aspekt zu diskutieren. Sie ahnte, worauf das Gespräch hinauslief. Und dann auch wieder nicht.
Vor einem Jahr, so die Frau, sei die Mutter ihres Mannes »in die Demenz abmarschiert«, ungewöhnlich rasch und derart heftig, dass man sich gezwungen gesehen habe, die alte Dame nach Berlin zu holen, wo sie nun im Haus ihres Mannes betreut werde. »Wenn Sie Ihre Vorwürfe aufrechterhalten, fliegt der Erwin raus und wir können uns
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