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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Beißelmann ein, lautlos und mürrisch, wie man ihn nicht anders kannte. Er setzte sich neben Peter-Paul Sencker, schaltete eine kleine Lampe mit schwacher Birne ein, die er mitgebracht hatte, und las in ihrem Schein in einem Taschenbuch.
    Das war etwas völlig Neues, was von Stube 5 auch sofort bestaunt wurde.
    »Der Herr Sanitätsdirektor liest«, sagte Seußer halblaut. »Und ich hätte geschworen, er sei nur zwischen Kackpfannen und Pißenten aufgewachsen.«
    »Stör ihn nicht«, sagte Staffner und räkelte sich genußvoll. »Er liest gerade, wie der schöne, schwarzgelockte Graf mit den knarrenden Reitstiefeln der jungen, unschuldigen, maisblonden Küchenhilfe in die Bluse faßt und sagt: ›Ei, ei … ist der Roggen schon reif?‹«
    Ein fröhliches Glucksen lief durch das Zimmer. Es bewies, daß niemand schlief, trotzdem es fast zwei Uhr nachts war. Beißelmann sah nicht auf; er saß vorgebeugt im trüben Schein der Minibirne und las. Lukas Ambrosius, der im Nebenbett lag, brachte sich in eine fast artistische Lage, um zu entdecken, wie das Taschenbuch hieß.
    »Du meine Fresse«, sagte er, als er den Titel entziffert hatte. »Beißelmann liest einen Krimi. ›Blonde Frauen müssen sterben‹.«
    Und aus der Ecke, wo der Selbstmörder lag, kam sarkastisch die Bemerkung: »Hoffentlich heißen sie nicht Evelyn …«
    Beißelmann schloß die Augen. Niemand sah es, denn sein Gesicht war dem Verunglückten zugewandt. Er atmete nur tief auf, als die Bemerkung Frerichs kam.
    »Jetzt isse tot«, sagte Seußer nach diesem Seufzer.
    Beißelmann fuhr herum. Die Betten waren in der fahlen Dunkelheit leblos wie die Steintische des kalten Totenkellers.
    »Schlaft, ihr Rindviecher«, sagte Beißelmann laut.
    »Wohl, wohl. Aber mit dem Schweif dürfen wir doch wedeln …«
    Wieder gluckste es rund durch das Zimmer. Dann war Stille. Beißelmann las weiter … von der Besinnungslosigkeit glitt Peter-Paul Sencker hinüber in einen Schlaf. Man hörte es am veränderten, gleichmäßigeren Atmen. Mit dem Schlaf kam aber auch das Träumen, die Unruhe, die geistige Rekonstruktion des Geschehens.
    Beißelmann hatte viel zu tun, den Zuckenden und Zitternden festzuhalten. Die anderen schliefen, und Staffner schnarchte laut.
    *
    Am Mittag des nächsten Tages horchte die Männerstation III auf. Auf dem Flur, in der Nähe des Zimmers 5, gellte eine Frauenstimme auf. Dazwischen hörte man die Stimme Dr. Bernfelds und das bärenhafte Brummen Beißelmanns. Schwester Inge kam sichtlich verstört ins Zimmer und setzte sich ohne Grund an das Bett Peter-Paul Senckers. Schwester Angela sah kurz herein; ihre große Schwesternhaube wehte, und sie sah aus, als schlage sie draußen eine Armee ab.
    »Bleiben Sie hier, Inge«, sagte sie bloß. Dann schloß sie die Tür wieder. Die laute Frauenstimme tönte wieder auf; es hörte sich an, als entstehe draußen auf dem Gang ein Handgemenge.
    »Was ist denn los?« fragte Staffner zu Schwester Inge hin. Diese schwieg und hielt die zitternden Hände Peter-Paul Senckers fest. Er lag seit dem frühen Morgen wach im Bett, starrte an die Decke, reagierte auf keine Anrede und knirschte ab und zu laut mit den Zähnen.
    Einige Augenpaare winkten zu Ambrosius. Er nickte leicht und schlüpfte in die Pantoffeln. Schwester Inge schüttelte so energisch, wie sie konnte, den Kopf.
    »Sie bleiben hier, Herr Ambrosius.«
    »Aber ich muß mal, Schwesterchen.«
    »Dann nehmen Sie die Ente.«
    »Ich genier mich vor Ihnen. Allein schon das Plätschern …«
    »Halten Sie den Mund«, rief Schwester Inge wütend. »Ich bin froh, wenn Sie entlassen werden …«
    »Also kann ich für kleine Jungen …?«
    »Nein. Keiner verläßt das Zimmer, bis Schwester Angela zurückkommt.«
    »Im wahrsten Sinne des Wortes: Untersuchungshaft«, rief Hieronymus Staffner. Dann lagen sie still, denn die Frauenstimme war jetzt deutlich zu hören.
    »Ich will zu ihm«, schrie sie. »Ich will ihn sehen … ich will diesen Menschen sehen … diesen Mörder … Mörder …«
    »Oje«, sagte Ambrosius und setzte sich auf sein Bett. Er sah zu Sencker hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Dann blickte Sencker weg und drehte den Kopf zur Wand.
    »Meine Frau«, sagte er mühsam, aber jeder verstand ihn deutlich. »Es ist meine Frau … Ich habe mein eigenes Kind totgefahren …«
    Es war einen Augenblick, in dem jedem in Zimmer 5 eine Sekunde lang der Herzschlag aussetzte. Schwester Inge beugte sich über Sencker. Er hatte den Mund geöffnet und weinte

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