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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Röntgenaufnahmen gezeigt wurden und ein Farbfilm von einer Operation, kam sie wieder mit und sah begeistert zu. Oberarzt Dr. Pflüger beobachtete sie ab und zu von der Seite, und jedesmal, wenn er ihr schönes Gesicht mit den lockigen, braunen Haaren betrachtete, die im Nacken zu einem wolligen Flaum übergingen wie das zarte Federkleid eines Kükens, spürte er im Herzen einen kleinen, seligen Krampf und die unbändige Lust, diese Haut zu streicheln und mit den Lippen zu kosen. Auch er hörte nur die Hälfte des Vortrages – er war damit beschäftigt, sich seiner Vorfreude hinzugeben und in den Gedanken zu schwelgen, an der Jugend wieder jugendlich zu werden.
    Nach dem Vortrag war ein kaltes Büfett aufgebaut. Dr. Pflüger zog Schwester Inge in eine Ecke des Foyers.
    »Wollen wir hierbleiben?« fragte er leise. »Lauter langweilige alte Professoren, die jetzt nichts anderes tun werden, als bei kaltem Huhn in Aspik und Gänseleberpastete die Theorien des Kollegen zu zerpflücken, um eigene Theorien um so leuchtender herauszustellen. Es wird Dispute geben, neue Feindschaften werden entstehen, und das Ende vom Lied wird die Bildung von Gruppen sein, die jede andere Gruppe für Idioten hält. Das Ganze nennt man dann eine akademische Diskussion zum Wohle der Kranken. Ich schlage vor, wir entfleuchen in schönere Gefilde.«
    »Einverstanden. Und wohin?«
    »In eine Weinstube?«
    »Ich überlasse es Ihnen, Herr Oberarzt. Ich kenne weder eine Weinstube noch sonst irgend etwas …«
    Dr. Pflüger faßte Inge unter und ging mit ihr zur Garderobe. Auf dem kurzen Weg und während der Zeit, in der die Garderobenfrau ihre leichten Sommermäntel heraussuchte, stellte er in Gedanken ein Programm zusammen. Zuerst zu Wollhaupt, dachte er. Dort trinken wir einen schönen Rheinwein. Der gibt eine Grundlage. Dann zu den Julischka-Stuben … dort trinken wir einen Tokaier und tanzen. Von dort zu ›Annabella‹: zwei Flaschen Sekt und Betrachtung eines erotischen Tanzes. Dann wird die Kleine so weit sein, daß sie einen Mokka bei mir trinken wird. Einen Mokka mit einem großen Schuß Kirschwasser.
    Dr. Pflüger war mit seinen Gedanken zufrieden. Sie stellten eine natürliche Entwicklungsreihe dar, sozusagen laboratoriumsreif, an derem Ende der sichere Erfolg stand.
    Er half Inge Parth in den weißen Mantel, warf seinen Mantel lässig über den Arm und faßte Inge wieder unter. Draußen winkte er eine der wartenden Taxen heran und nannte die Adresse des Weinlokals Wollhaupt.
    »Eine herrliche Nacht«, sagte er und kurbelte sein Wagenfenster herunter. »Um so wohltuender, nachdem man zwei Stunden in aufgeschnittene Leiber geguckt hat.«
    Er lachte jungenhaft und freute sich, daß er dies noch nicht verlernt hatte. Jetzt müßte man eigentlich versuchen, den Arm um ihre Schulter zu legen. Bisher war dies noch immer erfolgreich gewesen, weil es ganz natürlich war. Man legte den Arm auf die Polster, und durch das Rütteln des Autos rutschte die Hand auf die Schulter. Entweder sagte man dann: »Oh, Entschuldigung!«, oder man hatte es nicht nötig, etwas zu sagen, sondern verstärkte lediglich den Druck der Hand.
    Dr. Pflüger tat keines von beiden. Er saß in seiner Ecke und sah Inge an, wie ihr Gesicht vom Licht der Leuchtreklamen aus der Dunkelheit herausgerissen wurde, einmal rot, dann blau, dann grün schillernd … ein Jungmädchengesicht voller Reinheit und Sorglosigkeit. Sie sah hinaus auf die Straße, und als Dr. Pflüger zu lange schwieg, wandte sie den Kopf und blickte ihn erstaunt an. Dr. Pflüger senkte schnell den Blick, sie sollte nicht merken, daß er sie gemustert hatte, gewissermaßen mit Besitzerstolz oder dem Glücksgefühl eines erfolgreichen Sammlers.
    »Ich weiß so wenig von Ihnen, Inge«, sagte er, um das Schweigen zu überbrücken. »Ich kenne Sie nur aus den Personalakten und von der Station. Ich weiß, daß Sie Waise sind, daß Sie sich bald verloben werden und daß Sie große Pläne haben …«
    »Das ist schon alles.« Inge Parth lächelte wie um Verzeihung heischend. »Mehr ist in meinem Leben nicht drin.«
    »Auch die kleinen Erlebnisse hinterlassen Erinnerungen. Jeder Mensch ist wie ein Mosaik, aus den vielen kleinen Steinchen ergibt sich sein Bild. Und jedes Erlebnis ist ein solches Steinchen.«
    »Ich habe keine Erlebnisse gehabt.«
    »Woran erinnern Sie sich besonders gern? Ehrlich sein, Inge, scheuen Sie sich nicht.«
    »Besonders gern?« Inge starrte hinaus in die vorbeigleitenden Lichtreklamen. »Ich

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