Männerstation
kein Blödsinn, Herr Professor. Doktor Sambaresi hat sich von uns allen verabschiedet. Er fuhr ja in Urlaub, an die Nordsee. Gestern war sein erster Ferientag am Wasser. Es kann also keiner wissen, wo er wirklich war.«
»Auch Fräulein Fortyn weiß es nicht. Sie sagt, sie habe Doktor Sambaresi betrunken aus seinem Wagen steigen sehen, als sie vergeblich an seiner Wohnung schellte. Sie war gerade von London gekommen und wollte mit der Taxe schon wieder zu einem Hotel abfahren. Sambaresi bestand darauf, daß er sie wegbringt. Auf dem Weg zum Hotel ist es dann passiert. Er ist eingeschlafen während des Fahrens. Aber irgend etwas stimmt da nicht! Der Alkohol, den er nie trank, die Schlaftabletten zusätzlich zum Alkohol, die Lüge, an die Nordsee zu fahren … ich kann mich da eines Verdachts nicht mehr erwehren …«
»Cherchez la femme«, sagte Dr. Pflüger sarkastisch. Prof. Morus nickte heftig.
»Ganz richtig, Herr Kollege! Hier muß man eine Frau suchen. Wenn ein so korrekter Mann wie Sambaresi plötzlich sinnlose Dinge tut, steckt immer eine Frau dahinter. Sie haben es mit Kennerblick erkannt.«
»Wie soll man jemals diese Frau finden?«
»Nur durch einen Zufall.« Prof. Morus ging in dem großen Zimmer hin und her. »Ich werde mit der Polizei ein Abkommen treffen. Der Unfall kommt in keine Zeitung. Es ist anzunehmen, daß die Dame, die wir suchen, von dem Unglück noch nichts weiß, daß sie sich über die plötzliche Schweigsamkeit Sambaresis wundert und hier versuchen wird, ihn zu sprechen. Man wird sie dann sofort zu mir schicken.«
Dr. Pflüger lächelte mokant. »Sie hätten auch das Zeug zu einem Kriminalisten, Herr Professor …«
Prof. Morus drehte sich um. Sein Blick zum Oberarzt war kalt und mitleidlos. »Ich brauche kein Kriminalist zu sein, um festzustellen, daß auch Sie gestern gottserbärmlich gesoffen haben.«
»Allerdings. Ich war losgelöst von allen Problemen.« Dr. Pflüger schob kampfeslustig den Kopf vor. »Ich hatte keinerlei Verpflichtungen.«
»Und Doktor Bernfeld stand allein da!«
»Das ist eine Folge der Sparmaßnahmen der Verwaltung. Ich habe übrigens eine Aufstellung gemacht, Herr Professor, die ich Ihnen überreichen wollte.« Dr. Pflüger legte die Hände aneinander. »Wenn Sie erlauben, bringe ich gleich das Aktenstück hoch. Es ist eine Belegungsstatistik. Mit Ausnahme von Männerstation III, wo wir zwei Betten für ausgesprochene Notfälle immer bereithalten, sind alle Stationen überbelegt. In den Zweibettzimmern stehen vier Betten, auf Station I und IV mußten die Badezimmer hinzugenommen werden, auf der Frauenstation II und III haben wir vorgestern vier Betten auf dem Gang aufschlagen müssen und zwei Betten im Aufenthaltsraum. Das geschah unter größten Schwierigkeiten, da die Verwaltungsdirektion weder die Betten noch die Ausstattung bewilligen wollte. Man hat uns vorgerechnet, daß jede Neueinweisung eine untragbare finanzielle Belastung darstellt. Die vorhandene Bettenzahl dürfte nicht vermehrt werden. Dabei ist die Situation so, daß wir nur akute Fälle aufnehmen können und die Operationen, die nicht absolute Lebensgefahr abwenden, im Voranmeldeverfahren einschieben müssen. Das heißt, daß eine normale Gallenoperation drei bis sechs Monate vorher angemeldet werden muß, damit wir dafür ein Bett freihalten.«
Prof. Morus nickte. »Ich weiß, ich weiß. Und was soll Ihre Denkschrift?!«
»Die Situation klären.«
»Wertloses Papier ist sie! Bei Hunderten von Verwaltungsstellen liegen solche Denkschriften von Hunderten von Krankenhäusern herum, und die Sachbearbeiter geben sie weiter, und die Direktoren schreiben an den Rand ›Kein Geld‹, und dann verstauben diese Denkschriften. Das deutsche Krankenhauswesen steht – von einigen Ausnahmen abgesehen, die man als Blender herumzeigt und sich im Schein der Potemkinschen Fassade sonnt – auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts! Das wissen wir doch alle, Pflüger! Wenn Deutschland früher ein Mekka der Medizin war, so kommt man heute zu uns, um unsere zum Teil muffigen, überalterten, wie Kasernen wirkenden Kreiskrankenhäuser zu besichtigen und verwundert die Tatsache zu bestaunen, daß man in solchen Scheunen noch Heilungen vollbringt!« Prof. Morus setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Aber bringen Sie Ihre Akte mal her, Pflüger … ich werde mit der Verwaltung noch einmal reden. Langsam werden unsere Argumente in den Augen demokratischer Minister schon staatsfeindlich, weil sie der Welt zeigen,
Weitere Kostenlose Bücher