Männerstation
Prof. Morus die Tür. Verwaltungsdirektor Dr. jur. Berg senkte den Kopf. Er war ja nur ein ganz kleines Rädchen in der Riesenmaschine Staat.
*
Paul Beißelmann schellte an der Haustür und betrat das Treppenhaus, nachdem sich die Haustür schnurrend geöffnet hatte. Dann legte er seine große Hand über den kleinen Spion an der Wohnungstür und schellte dort noch einmal. Er hörte, wie hinter der Tür die Klappe des Guckloches betätigt wurde, wie man zögerte und wie sich schließlich doch der Schlüssel im Schloß drehte. Er nahm die Hand weg und setzte den linken Fuß vor, um ihn im Notfall als Keil zwischen die Tür zu setzen.
Evelyn Frerich war zu erschrocken, um an eine Gegenwehr zu denken. Sie wich zurück in die kleine Diele, und Beißelmann tappte ihr nach, schloß hinter sich die Tür und ging in das Wohnzimmer. Es roch noch immer nach Alkohol, als klebe er an den Tapeten. Sogar eine leere Flasche lag noch auf dem Teppich. Beißelmann bückte sich, hob sie auf, las das Etikett und stellte sie auf den Rauchglastisch vor die Couch.
»Du bist eine Schlampe«, sagte er heiser. »Oder hast du bis jetzt geschlafen?«
Evelyn wich zum Fenster zurück, aber Beißelmann überholte sie mit drei langen Schritten und versperrte ihr den Weg. »Was … was wollen Sie …?«
»Nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« Beißelmann betrachtete den schlanken, biegsamen Körper in dem engen Sommerkleid. Evelyn hatte die blonden Haare aufgesteckt zu einem feurigen, in der Sonne glitzernden Kunstwerk. Sie bemerkte die Blicke Beißelmanns und legte wie schützend beide Arme über ihre Brust.
»Ich rufe die Polizei …«, sagte sie schwach.
»Aber warum denn? Man darf doch eine gute Bekannte besuchen. Übrigens, Ihrem Mann geht es gar nicht gut. Er hat geraucht, trotz Verbot, und jetzt wird wohl in der Lungenwunde eine Infektion entstehen.«
Evelyn schwieg. Sie starrte Beißelmann an, haßerfüllt und ängstlich. Plötzlich hob sie den Kopf. Es war, als wolle sie Beißelmann mit dieser Frage ins Gesicht schlagen.
»Wie geht es Doktor Sambaresi?«
Beißelmann nickte mehrmals. »Gut … sehr gut … er ist tot.«
Aus Evelyn wich alles Blut. Sie sackte in den Knien ein und fiel auf einen Sessel.
»Tot …«
»Ja.«
»Aber wieso …«
»Er ist eben tot.«
Ihre Augen waren weit und starr. Dann öffnete sich ihr Mund, erst nur einen Spalt, dann riß er auf wie eine Wunde. »Mörder …«, sagte sie leise, und dann laut und immer lauter, bis es ein Schrei wurde: »Mörder … Mörder … Mörder …«
Beißelmann trat auf sie zu und legte ihr seine riesige Hand auf den Mund. Der Schrei erstarb zu einem Gurgeln, aber über Beißelmanns Handgelenk lief Blut in den Hemdärmel hinein. Sie hatte ihn tief in den Handballen gebissen.
»Sei still«, sagte Beißelmann, so wie man zu einem Kind spricht und es beruhigen will, »Sei doch still …« Er nahm die Hand von Evelyns Mund, holte ein Taschentuch aus der Hose und wickelte es um den blutenden Biß. Dann tappte er in das Badezimmer, kam mit einem Waschlappen und einem Handtuch zurück und wusch Evelyn den blutigen Mund ab, die Wangen, die Augen. Sie ließ es, steif vor Grauen, geschehen, auch wenn ihr ganzes Make-up damit verschmiert wurde und sie nachher aussah wie ein Clown, der sich abschminkt.
Beißelmann trug Waschlappen und Handtuch wieder zurück ins Badezimmer, hielt die blutende Hand unter den kalten Wasserstrahl und wickelte dann ein anderes Handtuch um die Bißwunde. Als er zurückkam in das Wohnzimmer, saß Evelyn noch immer im Sessel, eine bleiche, verschmierte Puppe mit zitternden Augen.
»Wieso bin ich ein Mörder?« fragte Beißelmann und blieb vor ihr stehen. »Ich habe ihm nichts getan.«
»Aber … aber er ist doch tot …«
»Er ist gegen eine Mauer gefahren.«
»Durch Ihre Schuld!« Die Finger Evelyn Frerichs bohrten sich in die Sessellehne. »Sie haben ihn gezwungen, Alkohol zu trinken. Sie haben ihn dort in die Couchecke gedrückt und haben ihm die Flasche an den Mund gehalten. Sie haben ihn gezwungen, Schlaftabletten zu nehmen … Sie … Sie … Mörder.«
»Ich habe nicht verlangt, daß er Auto fährt.«
»Aber Sie haben es gehofft! Sie wußten, daß er fahren würde, und damit ich es nicht verhindere, haben Sie auch mich mit Tabletten betäubt.«
Beißelmann sah auf seine Hände. Er schämte sich. Nicht vor der vergangenen Nacht, sondern wegen seiner eigenen Feigheit. Als er Dr. Sambaresi voll Alkohol gepumpt hatte und auch Evelyn kaum mehr
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