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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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einlegen.«
    Der Jüngling lehnte ab; er müsse Fische holen für seine kranke Mutter und habe wirklich keine Zeit. Da reichte ihm der Greis die Hand und machte einen anderen Tag mit ihm aus. Er solle nur in das Dorf gehen und nach dem alten Wang fragen. Dann verabschiedete er sich und ging.
    Der Jüngling kehrte heim, bereitete die Fische und gab sie seiner Mutter zu essen. Die Krankheit wurde besser, und nach ein paar Tagen war sie wieder gesund. Da nahm er einen Knecht und Pferde mit sich und ging, den Greis zu suchen. Am alten Platze angekommen, fand er den Ort des Dorfes nicht wieder. Unter dem Suchen verstrich die Zeit. Die Abenddämmerung fiel allmählich nieder, die Gegend war zerklüftet, und ein freier Ausblick war nicht möglich. Da trennte er sich von seinem Knechte und stieg auf einen Berg, um Ausschau zu halten nach einer menschlichen Niederlassung. Aber der Bergpfad war steil und steinig, man konnte nicht mehr reiten; so kletterte er denn zu Fuß empor. Die Abendnebel stiegen, und wie er sich auch umblickte, es war kein Dorf zu sehen. Schon wollte er wieder den Berg hinab; aber er hatte den Weg verloren, und die Aufregung brannte ihm im Herzen wie Feuer. Mitten im hastigen Suchen fiel er im Dunkeln eine steile Felswand hinunter. Glücklicherweise war einige Fuß weiter unten ein kleiner ebener Grasfleck, auf den er beim Fallen zu liegen kam, nur eben so breit, dass er Platz darauf hatte. Er blickte nach unten, da sah er vor sich die schwarze, bodenlose Tiefe. In seiner Angst wagte er sich nicht zu rühren. Zum Glück wuchsen am Rande des Abgrundes kleine Bäume, die ihn wie ein Geländer umgaben. Nach einiger Zeit entdeckte er zu seinen Füßen die Öffnung einer kleinen Höhle. Die Freude leuchtete ihm im Herzen auf; er kroch auf allen vieren hinein. Er wollte ein wenig ruhen, in der Hoffnung, am anderen Tage Hilfe herbeirufen zu können. Auf einmal erblickte er in der Tiefe einen Lichtschein wie ein Sternchen. Er ging darauf zu. Nach zwei, drei Meilen entdeckte er plötzlich Gebäude. Keine Kerze war vorhanden, und doch war es hell wie am lichten Tag. Ein schönes Mädchen kam aus dem Hause hervor. Er sah sie an, da war es Edelweiß. Als sie ihn sah, sprach sie erschrocken: »Wie hast du denn den Weg hierher gefunden?« Der Jüngling nahm sich keine Zeit zum Reden; er fasste sie bei der Hand und seufzte tief. Das Mädchen beschwichtigte ihn und fragte nach der Mutter und dem Kind. Da erzählte er ihr sein ganzes Leid, und Edelweiß ward auch betrübt.
    Er sprach: ,,Du bist nun über ein Jahr tot. Bist du denn nicht in der Unterwelt?«
    »Nein,« sagte sie, »das ist ein Ort der Seligen. Ich bin damals nicht wirklich gestorben. Was ihr begraben habt, war nur ein Stück Holz. Nun bist du da und sollst auch teilhaben an der Seligkeit.«
    Damit führte sie ihn zu ihrem Vater. Das war ein Mann in langem Bart. Der Jüngling nahte sich grüßend, und Edelweiß sagte: »Mein Mann ist gekommen.«
    Der Alte erhob sich erschrocken, winkte mit der Hand und begrüßte ihn obenhin. Edelweiß sprach: »Es ist gut, dass er gekommen ist; wir müssen ihn hierbehalten.« Doch sagte der Jüngling, seine Mutter sehne sich nach ihm, er könne nicht lange bleiben.
    Der Alte sprach: »Ich weiß das wohl. Aber wenn du ein paar Tage später heimkommst, tut es auch nichts.« Dann setzte er ihm Wein und Speisen vor und befahl der Magd, ein Bett im Nebenzimmer für ihn herzurichten. Als er sich zurückzog, wollte er seine Frau mit sich nehmen. Die wies ihn ab und sprach: »Hier ist nicht der Ort für solche Zärtlichkeiten.« Doch er nahm sie am Arm und ließ sie nicht mehr los. Vor dem Fenster kicherte die Magd. Da schämte sich Edelweiß noch mehr. Während sie sich noch stritten, kam der Alte herein und fuhr ihn an: »Du Erdenwurm beschmutzest meine Wohnung, du musst fort!«
    Da schämte sich der Jüngling über alle Maßen; doch sprach er trotzig: »Die Liebe zwischen Mann und Frau ist etwas, dem wir Menschen nicht entgehen. Was braucht Ihr Euch darum zu kümmern, Alter? Ich bin bereit zu gehen, aber meine Frau muss mit mir.«
    Der Alte widersprach nicht. Er winkte seiner Tochter, ihm zu folgen. Dann führte er ihn zur Hintertür hinaus. Kaum war er vor der Tür, da schlugen Vater und Tochter sie zu und verschwanden. Er sah sich um. Da sah er eine steile Felswand vor sich ohne die kleinste Ritze noch Spalte. Einsam und verlassen stand er da und wußte nicht, wohin sich wenden. Er blickte zum Himmel auf. Der schräge Mond

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