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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Hausgeschäfte allmählich der jungen Frau und zog sich mit Yüo Dschung in einen anderen Hof zurück. Der Sohn und seine Frau kamen täglich dreimal, nach den Eltern zu fragen. Aber nur schwierige Sachen legten sie ihnen zur Entscheidung vor. Sie bestellten zwei Dienerinnen, die eine, um Wein zu wärmen, die andere, um Tee zu kochen.
    Eines Tages war Schneeflocke bei dem jungen Paare. Die Schwiegertochter hatte vieles zu erledigen, und es dauerte lange, bis sie zurückkam. Schmerzenreich ging mit, um nach dem Vater zu sehen. Als sie zur Tür hereintraten, da sahen sie Yüo Dschung barfuß auf dem Bette sitzen. Er hörte sie kommen, da öffnete er die Lider und sagte lächelnd: »Mutter und Sohn sind beide gekommen, das ist gut.«
    Dann schloss er die Augen wieder.
    Schneeflocke erschrak sehr und sprach: »Was willst du tun?«
    Sie sah nach, da hatten sich die Lotosblumen an seinen Beinen weit geöffnet. Sie befühlte ihn, sein Atem stand schon still.
    Eilig hielt sie mit beiden Händen die Lotosblumen zu und sagte bebend: »Ich bin aus weiter Ferne gekommen, dir zu folgen, das war nicht leicht. Ich habe dir den Sohn erzogen und die Schwiegertochter gelehrt, das alles hab’ ich dir zuliebe getan. Warum willst du nicht noch zwei, drei Jahre auf mich warten?«
    Nach einer Stunde öffnete er plötzlich die Augen und sagte lächelnd: »Frau, du hast doch deine eigenen Geschäfte, warum musst du einen anderen herbeiziehen dir zum Genossen? Immerhin, ich will um deinetwillen bleiben.«
    Sie ließ die Hände los, da hatten sich die Blumen wieder geschlossen. Und so blieben sie beieinander wohnen, plaudernd und lachend wie zuvor.
    Drei Jahre waren verflossen. Schneeflocke war schon nahe an vierzig; aber noch immer war sie jung und schlank wie ein zwanzigjähriges Mädchen.
    Einst sagte Schneeflocke zu Yüo Dschung: »Wenn man gestorben ist, so muss man sich von anderen Leuten beim Kopf und bei den Füßen nehmen lassen. Das ist nicht rein und schön.«
    Darum ließen sie vom Zimmermann ein paar Särge machen.
    Schmerzenreich fragte erstaunt nach dem Grunde.
    Sie aber sprachen: »Das verstehst du nicht.«
    Nachdem die Arbeit fertig war und sie gebadet und sich geschmückt hatte, sprach sie zum Sohne und seiner Frau: »Ich werde jetzt sterben.«
    Schmerzenreich sagte schluchzend: »All die Jahre hast du als Mutter für mich gesorgt. Und nun, wie es so weit ist, dass wir von Kälte und Hunger nichts mehr zu leiden haben, willst du uns verlassen und gehen, ehe du dein Glück in Ruhe noch genossen hast.«
    Sie sprach: »Das Gute, das der Vater sät, hat als Glück der Sohn zu ernten. Alles, was du an Reichtum hast, ist deines Vaters Lohn. Ich habe kein Verdienst. Ich war ursprünglich eine Blumen spendende Himmelsjungfrau. Doch ward ich bestrickt von irdischen Gedanken. Darum musste ich in die Menschenwelt. Ich ward deinem Vater zur Frau gegeben; doch verstieß er mich, und nach langer Irrfahrt erst haben wir uns wiedergefunden. Mehr als dreißig Jahre sind nun vorüber, und meine Zeit ist um.«
    Damit stieg sie selbst in den Sarg. Der Sohn rief noch einmal nach ihr, aber ihre Augen waren schon geschlossen. Weinend ging Schmerzenreich hin, es seinem Vater zu sagen. Aber der Vater hatte auch schon die Leichenkleider angezogen und stieg, sein Leben aushauchend, in seinen Sarg. Man stellte die Särge in der Halle auf. Mehrere Tage zögerte man, sie zu schließen, in der Hoffnung, sie kämen wieder zum Leben. Ein Schein ging aus von den Lotosblumen des Vaters, der rings das Gemach erhellte. Von Schneeflockens Sarg aber stieg ein süßer Duft auf, die ganze Luft umher erfüllend. Als man die Särge schloß, verschwanden Duft und Glanz allmählich.

100. Der Affe Sun Wu Kung
    Im fernen Osten, mitten im großen Meer, ist eine Insel, die heißt: der Berg der Blumen und Früchte. Auf diesem Berge stand ein hoher Fels. Der hatte seit Anbeginn der Welt alle geheimen Samenkräfte von Himmel und Erde, Sonne und Mond in sich aufgenommen; dadurch erhielt er übernatürliche Zeugungskraft. Eines Tages barst er und gebar ein steinernes Ei. Es war rund wie eine Kugel. Aus diesem Ei ward durch Zauberkraft ein steinerner Affe ausgebrütet. Er neigte sich nach allen Seiten. Dann lernte er allmählich gehen und springen. Aus seinen Augen brachen zwei Strahlen goldenen Scheines hervor, die schossen hinauf bis zu dem höchsten Himmelsschloss, also dass der Herr des Himmels darob erschrak. Er sandte die beiden Götter Tausendmeilenauge und Feinohr aus,

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