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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Meister sprach: »Soll ich dich in der Magie unterweisen?« — Sun Wu Kung fragte: »Was lernt man da?« — Der Meister sprach: »Man lernt, die Geister zu beschwören, das Orakel zu befragen und Glück und Unglück vorherzuwissen.« — »Kann man dadurch das ewige Leben erlangen?« fragte Sun Wu Kung. — »Nein«, war die Antwort. — »Dann lern’ ich’s nicht.« — »Soll ich dich in der Wissenschaft unterrichten?« — »Was ist die Wissenschaft?« — »Es sind die neun Schulen der drei Religionen. Man lernt die heiligen Schriften lesen, Zaubersprüche sagen, mit den Göttern verkehren und die Heiligen herbeirufen.« — »Kann man dadurch das ewige Leben erlangen?« — »Nein.« — »Dann lern’ ich sie nicht«. — »Der Weg der Stille ist sehr gut.« — »Was ist damit gemeint?« — »Man lernt, ohne Nahrung zu leben, in stiller Reinheit tatenlos zu weilen und in Betrachtung versunken zu sitzen.« — »Kann man dadurch das ewige Leben erlangen?« — »Nein.« — »Dann lern’ ich ihn nicht.« — »Der Weg der Tat ist auch recht gut.« — »Was ist damit gemeint?« — »Man lernt, die Kräfte des Lebens ins Gleichgewicht zu setzen, den Körper zu üben, das Lebenselixier zu bereiten, den Nabel zu reiben und den Atem zu beherrschen.« — ,,Kann man dadurch das ewige Leben erlangen?« — »Auch noch nicht.« — »Dann lern’ ich ihn nicht! Dann lern’ ich ihn nicht!« — Da stellte sich der Meister böse, sprang von seinem Pult herab, nahm den Stock und schalt: »Dieser Affe! Das will er nicht lernen, jenes will er nicht lernen! Auf was wartest du denn dann noch?« Damit schlug er ihn mit dem Stocke dreimal auf den Kopf, zog sich ins innere Zimmer zurück und machte die Haupttür hinter sich zu.
    Die Schüler waren in großer Aufregung und bestürmten den Sun Wu Kung mit Vorwürfen. Der aber bekümmerte sich nicht darum, sondern lächelte still vor sich hin; denn er hatte das Rätsel, das der Meister ihm aufgegeben hatte, verstanden. Er dachte in seinem Herzen: »Dass er mich dreimal auf den Kopf geschlagen, das heißt, dass ich zur dritten Nachtwache bereit sein soll. dass er sich ins innere Gemach zurückgezogen hat und die Haupttür hinter sich verschlossen, das heißt, dass ich zur Hintertür hereinkommen soll und er mir im Geheimen die große Wahrheit eröffnen will.« So wartete er denn bis zum Abend und legte sich zum Scheine mit den anderen Schülern gemeinsam zur Ruhe. Als aber die dritte Nachtwache gekommen war, da stand er leise auf und schlich sich zur Hintertür. Richtig fand er sie nur angelehnt. Er schlüpfte hinein und trat vor das Bett des Meisters. Der Meister schlief mit dem Gesicht nach der Wand. Er wagte ihn nicht zu wecken, sondern kniete vor dem Bette nieder. Nach einer Weile drehte sich der Meister um und summte ein Verschen vor sich hin:
»Schwer, schwer, schwer
Ist der Wahrheit Lehr’!
Find’t man nicht den rechten Mann,
Red’t man sich nur lahm daran.«
    Da antwortete Sun Wu Kung: »Ich warte hier ehrfürchtig.«
    Der Meister warf die Kleidung über, richtete sich im Bett auf und fuhr ihn an: »Verdammter Affe! Warum schläfst du denn nicht? Was willst du denn hier?« —
    Sun Wu Kung erwiderte: »Ihr habt mir doch gestern angedeutet, dass ich um die dritte Nachtwache zur Hintertür hereinkommen soll, um in der Wahrheit unterrichtet zu werden. Darum habe ich es gewagt, zu kommen. Wenn Ihr mir nun die große Gnade erweisen wollt, mich zu belehren, so will ich Euch ewig dankbar sein.«
    Der Meister dachte bei sich selbst: »Dieser Affenkopf hat wirklich Geist, dass er mich so gut verstanden hat.« Dann sagte er: »Sun Wu Kung, dir ist’s vergönnt. Ich will offen mit dir reden. Komm ganz nahe heran, dann will ich dich den Weg zum ewigen Leben lehren.«
    Damit sagte er ihm einen göttlichen Zauberspruch zur Sammlung der Lebenskraft ins Ohr und erklärte Wort für Wort den geheimen Sinn. Begierig hörte Sun Wu Kung zu und konnte ihn in kurzem auswendig. Dann bedankte er sich, ging wieder nach vorn und legte sich schlafen. Von da ab übte er sich im richtigen Atmen, wahrte Samen, Seele und Geist und zähmte seines Herzens Natur. Unter dieser Arbeit vergingen abermals drei Jahre. Da war das Werk vollbracht. Eines Tages sprach der Meister zu ihm: »Noch drohen dir drei große Gefahren, die jeder bestehen muss, der etwas Außerordentliches erreicht, da ihn der Dämonen und Geister Neid verfolgt. Und nur, wer diese drei Gefahren bestanden hat, der lebt so lange wie

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