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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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ist die lichte Perle des Uranfangs, dir zum Sohne verliehen. Doch ist der Knabe wild und ungebärdig und wird viele Menschen töten. Darum will ich ihn zum Schüler nehmen, um seine wilde Art zu sänftigen.« Li Dsing neigte sich dankend, und der Große Eine verschwand.
    Als Notscha sieben Jahre alt war, ging er einmal von zu Hause weg. Er kam zum Fluss der neun Krümmungen, dessen grüne Wasser zwischen zwei Reihen von Hängeweiden dahin flossen. Der Tag war heiß. Notscha stieg ins Wasser, um sich zu kühlen. Er band sein rotes Seidentuch los und schwenkte es im Wasser, es zu waschen. Das ganze Wasser wurde rot davon. Wie aber Notscha so dasaß und das Tuch im Wasser schwenkte, da wurde das Schloss des Drachenkönigs im Ostmeer bis in seine Grundfesten erschüttert. Darum sandte der Drachenkönig einen Triton aus, schrecklich anzuschauen, der sollte sehen, was es gebe. Als der Triton den Knaben sah, begann er zu schelten. Der aber blickte auf und sprach: »Was bist du für ein seltsames Tier und kannst sogar sprechen?« Da wurde der Triton wild, sprang herzu und schlug mit seiner Axt nach Notscha. Der wich dem Schlage aus und warf seinen goldenen Armreif nach ihm. Der Reif traf den Triton auf den Kopf, dass das Hirn herausspritzte und er tot zusammensank.
    Lachend sagte Notscha: ,,Nun hat er mir auch noch meinen Ring mit Blut besudelt.« Und er setzte sich nieder auf einen Stein, um seinen Ring zu waschen. Da begann das Kristallschloss des Drachen zu beben, dass es dem Einsturz nahe war. Auch kam ein Wächter und meldete, der Triton sei von einem Knaben erschlagen worden. Da sandte der Drachenkönig seinen Sohn, um den Knaben zu fangen. Der Sohn setzte sich auf das Wasser zerteilende Tier und kam im Brausen großer Wasserwogen heran. Notscha richtete sich auf und sagte: »Das ist eine tüchtige Welle.« Plötzlich sah er in den Wogen ein Tier auftauchen, darauf saß ein gewappneter Mann, der schrie mit lauter Stimme: »Wer hat meinen Triton umgebracht?« Notscha antwortete: »Der Triton hat mich umbringen wollen, da habe ich ihn totgeschlagen, das tut doch nichts.« Da fuhr der Drache mit seiner Hellebarde auf ihn los. Aber Notscha sprach: »Sag an, wer bist du, ehe wir kämpfen?« — »Ich bin der Sohn des Drachenkönigs«, war die Antwort. — »Und ich bin Notscha, der Sohn des Feldherrn Li Dsing. Du musst mich durch deine Gewalttätigkeit nicht böse machen, sonst zieh’ ich dir mitsamt deinem Alten, dem Schlammfisch, die Haut ab!« Da ward der Drache wild und kam grimmig herangestürmt. Notscha aber warf sein rotes Tuch in die Luft, dass es wie eine Feuerkugel blitzte und den Drachenjüngling von seinem Tier herunterwarf. Nun nahm Notscha seinen goldenen Reif und schlug ihn auf die Stirn, dass jener in seiner wahren Gestalt als goldener Drache sich zeigen musste und tot zusammenbrach.
    Notscha lachte: »Ich habe sagen hören, dass man aus Drachensehnen gute Stricke machen kann. Ich will ihm eine herausziehen und meinem Vater bringen, der kann sich seinen Panzer damit festbinden.« Damit zog er ihm die Rückensehne heraus und nahm sie mit heim.
    Unterdessen war der Drachenkönig wütend zu Notschas Vater Li Dsing geeilt und hatte seine Auslieferung verlangt. Li Dsing aber sprach: »Ihr müsst euch irren, mein Junge ist erst sieben Jahre alt, der ist zu solchen Untaten nicht imstande.« Während sie noch stritten, kam Notscha herbei gesprungen und rief: »Vater, ich bringe dir eine Drachensehne mit, damit kannst du deinen Panzer festbinden.« Nun brach der Drache in Tränen und grimmige Scheltworte aus. Er drohte, den Li Dsing beim Himmelsherrn anzuzeigen, und ging wutschnaubend weg.
    Li Dsing geriet in große Aufregung, erzählte den Vorfall seiner Frau, und beide fingen an zu weinen. Notscha aber kam dazu und sagte: »Was weint Ihr denn? Ich gehe einfach zu meinem Meister, dem Großen Einen, der wird schon Rat wissen.« Als er das gesagt, war er auch schon verschwunden. Er trat vor seinen Meister und erzählte ihm die ganze Geschichte. Der sprach: »Du musst dem Drachen zuvorkommen, dass er dich nicht im Himmel verklagt.« Dann gab er ihm einen Zauber, und Notscha ward ans Himmelstor versetzt, wo er den Drachen erwartete. Es war noch früh am Morgen. Die Himmelstür war noch nicht geöffnet und der Wächter noch nicht zur Stelle. Aber schon kam der Drache heraufgestiegen. Notscha, der durch den Zauber unsichtbar geworden war, warf den Drachen von hinten mit seinem Reif zu Boden und begann auf ihn einzuhauen.

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