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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Der Drache schalt und schrie. »Da zappelt der alte Wurm«, sagte Notscha, ,,und macht sich nichts daraus, wenn man ihn schlägt, ich will ihm seine Schuppen abkratzen.« Mit diesen Worten riss er ihm seine Feierkleider auf und begann ihm unter dem linken Arm einige Schuppen abzureißen, dass das rote Blut heraus träufelte. Der Drache hielt es vor Schmerzen nicht mehr aus und bat um Schonung. Aber er musste ihm erst versprechen, dass er ihn nicht verklagen wolle, dann erst ließ er ihn los. Der Drache musste sich nun in ein kleines grünes Schlänglein verwandeln, das tat Notscha in seinen Ärmel und kam damit nach Hause zurück. Kaum hatte er das Schlänglein aus seinem Ärmel gezogen, da verwandelte es sich in Menschengestalt. Der Drache schwor dem Li Dsing fürchterliche Rache und verschwand in einem Blitzstrahl.
    Li Dsing war auf seinen Sohn ernstlich böse. Darum schickte die Mutter den Notscha nach hinten, damit er seinem Vater aus den Augen komme. Notscha verschwand zu seinem Meister, um ihn zu fragen, was er tun solle, wenn der Drache wieder komme. Der gab ihm einen Rat, und Notscha kehrte nach Hause zurück. Da waren auch schon die Drachenkönige aller vier Meere versammelt und hatten schreiend und lärmend seine Eltern gebunden, um sich an ihnen zu rächen. Notscha sprang herbei und rief mit lauter Stimme: »Was ich getan habe, will ich selber büßen. Meine Eltern trifft keine Schuld. Was verlangst du von mir für eine Genugtuung?« — »Leben um Leben!« rief der Drache. »Gut, ich will mich selber zerstückeln.
    Versprichst du mir, meinen Eltern dann nichts zu tun?« — Der Drache war einverstanden und befahl, die Fesseln der Eltern zu lösen. Notscha schlug sich erst einen Arm ab. Seine Mutter brach in lautes Weinen aus. Aber es half nichts. Schon hatte er sich den Leib aufgeschlitzt, die Eingeweide traten hervor, seine drei Geister und neun Seelen zerstreuten sich, und sein Leben kehrte ins Jenseits zurück. Befriedigt gingen nun die Drachen weg, und Notscha wurde von seiner Mutter unter vielen Tränen beerdigt.
    Das Geistige Notschas aber flatterte in der Luft umher und wurde vom Winde nach der Höhle des Großen Einen getrieben. Der nahm ihn auf und sagte zu ihm: »Du musst deiner Mutter erscheinen. Vierzig Meilen von eurer Heimat liegt die grüne Felswand. Auf diesem Felsen soll sie dir ein Heiligtum errichten. Wenn du drei Jahre lang den Weihrauch der Menschen genießt, kannst du wieder einen Leib bekommen.« Notscha erschien seiner Mutter im Traum und richtete ihr alles aus. Unter Tränen erwachte sie. Doch Li Dsing wurde böse, als sie ihm davon erzählte. »Es geschieht dem verruchten Knaben recht, dass er tot ist. Aber weil du immer an ihn denkst, darum erscheint er dir im Traum. Du musst nicht auf ihn achten.« Die Frau schwieg; aber von nun ab erschien er ihr täglich, sobald sie die Augen schloß, und wurde immer dringender in seinem Verlangen. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als ohne Wissen Li Dsings einen Tempel für Notscha errichten zu lassen.
    Notscha tat in dem Tempel nun große Wunder. Alle Gebete wurden erhört. In weitem Umkreis strömten die Leute herbei, ihm Weihrauch zu verbrennen.
    Ein halbes Jahr war so vergangen. Da kam Li Dsing bei einer großen kriegerischen Übung an jenem Berg vorüber und sah die Leute in dichtem Gewimmel wie Ameisen den Berg umdrängen. Li Dsing fragte, was es denn auf dem Berg zu sehen gäbe. »Ein neuer Gott ist da, der so wundertätig ist, dass von überallher die Leute herbeiströmen, ihn zu verehren.« — »Was ist das für ein Gott?« fragte Li Dsing. — Man wagte es ihm nicht zu verhehlen. Da wurde Li Dsing böse. Er sprengte auf seinem Pferd den Berg hinan, und richtig stand über dem Tor des Tempels geschrieben: »Notschas Heiligtum«. Und Notschas Bild stand darin, das glich ihm völlig, wie er zu Lebzeiten gewesen war. Li Dsing sprach: »Zu Lebzeiten hast du deine Eltern ins Unglück gebracht. Und nun nach deinem Tode betörest du das Volk. Das ist abscheulich!« Mit diesen Worten zog er seine Peitsche hervor, schlug Notschas Götterbild in Stücke, ließ den Tempel verbrennen und den Opfernden gütlich zureden. Dann kehrte er heim.
    Notscha war an jenem Tag im Geiste auswärts gewesen. Als er zu seinem Tempel zurückkam, fand er ihn zerstört. Vom Berggeist erfuhr er das Nähere. Notscha eilte zu seinem Meister und erzählte ihm unter Tränen, was geschehen war. Der sprach erregt: »Das ist Li Dsings Fehler. Nachdem du den

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