Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
Regen nieder sendet, zu bezwingen, er taugt nicht für den Drachen, der des Meerkönigs Perlen wahrt.« Dann fragte er weiter: »Habt ihr Drachen-Hirnduft?«
Als sie verneinten, sprach der Weise: »Wie wollt ihr da den Drachen zwingen?«
Der Kaiser sprach: »Was tun?«
Der Weise erwiderte: »Im Westmeer gibt es fremde Kauffahrer, die mit Drachen-Hirnduft handeln. Man muss hingehen und es bei ihnen suchen. Auch weiß ich einen Heiligen, der verstand die Kunst der Drachen und hat zehn Pfund des Drachensteins bereitet. Auch danach muss man jemand schicken.«
Der Kaiser sandte Boten aus. Die trafen einen Schüler jenes Heiligen und erlangten von ihm zwei Splitter Drachenstein.
Der Weise sprach: »Das ist der Rechte.«
Abermals vergingen einige Monate, da ward auch eine Pille Drachen-Hirnduft herbeigeschafft. Der Kaiser war hocherfreut und ließ durch seine Juweliere aus dem feinsten Jaspis zwei kleine Büchsen schneiden. Die wurden mit der Asche des Wutung-Baumes poliert. Dann ließ er aus dem besten Hohlgrün eine Essenz bereiten, die mit Meerfischleim verklebt und im Feuer gehärtet wurde. Zwei Vasen wurden daraus gemacht. Dann ließ er die Boten sich an Leib und Kleidern mit Baumwachs einreiben und gab ihnen fünfhundert geröstete Schwalben mit.
So gingen sie in die Höhle hinein. Als sie ans Drachenschloss kamen, da roch der kleine Drache, der die Tür verwahrte, das Baumwachs. Er duckte sich und tat ihnen nichts. Da gaben sie ihm hundert geröstete Schwalben als Bestechung, dass er sie bei der Drachentochter meldete. Sie wurden vorgelassen und brachten die Hohlgrünvasen und die Jaspisbüchsen und die vierhundert gerösteten Schwalben als Geschenk dar. Die Drachentochter nahm sie gnädig auf, und sie entfalteten den Brief des Kaisers.
Im Schlosse war ein tausendjähriger Drache, der konnte sich in einen Menschen verwandeln und verstand es, die Menschensprache zu dolmetschen. So erfuhr denn die Drachentochter, dass der Kaiser ihr das Geschenk gemacht, und sie erwiderte es mit einer Gabe von drei großen Perlen, sieben kleinen Perlen und einem ganzen Scheffel gewöhnlicher Perlen. Die Boten verabschiedeten sich, ritten auf einem Drachen mit ihren Perlen davon und waren im Augenblick am Ufer des Yangtsekiang angelangt. Sie begaben sich nach Nanking, der kaiserlichen Hauptstadt, und übergaben dort die Perlenkleinodien.
Der Kaiser war hocherfreut und zeigte sie dem Weisen. Der sprach: »Von den drei großen Perlen ist eine eine göttliche Wunschperle dritten Ranges, und zwei sind schwarze Drachenperlen mittlerer Güte. Von den sieben kleinen Perlen sind zwei Schlangenperlen, und fünf sind Muschelperlen. Sie alle sind ersten Ranges. Die übrigen Perlen sind teils Meerkranichperlen, teils Schnecken- und Austernperlen. Sie kommen den großen Perlen an Wert nicht gleich, doch finden sich auf Erden wenig ihresgleichen.«
Der Kaiser zeigte sie darauf auch allen seinen Dienern. Die hielten die Worte des Weisen für leeres Gerede und glaubten nicht daran.
Der Weise sprach: »Die Wunschperlen ersten Ranges leuchten vierzig Meilen weit, die mittleren Ranges zwanzig Meilen und die dritten Ranges zehn Meilen. Soweit ihr Schein reicht, kommt nicht Wind noch Regen, noch Donner, noch Blitz, noch Wasser, noch Feuer, noch Waffen. Die Perlen des schwarzen Drachens sind neunfarbig und leuchten bei Nacht. Soweit ihr Schein reicht, ist das Gift von Schlangen und Kerfen wirkungslos. Die Schlangenperlen sind siebenfarbig, die Muschelperlen fünffarbig. Sie alle leuchten bei Nacht. Die fleckenlosen sind die besten. Sie entstehen im Bauche der Muschel und nehmen mit dem Monde zu und ab.«
Als einer fragte, wie man die Schlangen- und die Kranichperlen unterscheiden könne, da sprach der Weise: »Die Tiere selbst erkennen sie.«
Der Kaiser ließ nun heimlich eine Schlangen- und eine Kranichperle auswählen und tat sie unter einen ganzen Scheffel gewöhnlicher Perlen und goss sie auf dem Hofe aus. Dann holte man eine große gelbe Schlange und einen schwarzen Kranich und setzte sie unter die Perlen. Sofort nahm der Kranich die Kranichperle in den Schnabel und begann zu singen und zu tanzen und umherzuflattern. Die Schlange aber schnappte nach der Schlangenperle und ringelte sich in vielen Windungen umher. Als das die Leute sahen, da fügten sie sich der Rede des Weisen. Auch mit dem Schein der großen und der kleinen Perlen verhielt es sich genau so, wie der Weise es gesagt hatte.
Die Boten hatten in dem Drachenschlosse eine feine
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