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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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rufen und befahl ihm, die Ehe mit seiner Mutter, die er für Wintertraube hielt, zu segnen. In dieser Nacht vertrieb die Freude an der Zärtlichkeit seine Trauer um seine Mutter, und er genoß sie, bis die Nacht dem Morgen wich.
    Am nächsten Morgen trat er auf die Terrasse seines Palastes. Sein Blick wanderte über das Tal, in das der Herbst eingezogen war. Die Blätter glühten unter der aufgehenden Sonne. Plötzlich zog das Schloß auf dem Hügel gegenüber mit seiner grünen Weinlaube seinen Blick auf sich. »Hat meine Reise so lange gedauert, oder haben die Nachbarn Dämonen als Baumeister gehabt?« fragte er seine Gattin verwundert.
    »Ich weiß es nicht, auf einmal war das Schloß da.Man erzählte, daß ein reicher Kaufmann dieses große Schloß für seine Tochter von unzähligen Baumeistern und Sklaven in einer Nacht habe bauen lassen«, antwortete diese.
    »Was schnell gebaut wird, zerfällt im Nu«, erwiderte der Prinz, lachte und kehrte in den Salon zurück. Die folgenden Monate vergingen schnell. Der Prinz wurde zum König ausgerufen, und so vergaß er das Schloß auf dem Hügel und dessen merkwürdige Weinlaube, die mitten im Winter immer noch grün war. Er eilte Nacht für Nacht sehnsüchtig zu seiner Frau und vergaß in ihren Armen seinen Kummer.
    Seine Mutter wurde schwanger, und als sie eines kalten Wintertages auf die Terrasse trat, um sich etwas zu sonnen, sah sie die schönen roten Früchte dort drüben in der Weinlaube und wünschte sich eine Traube. Der Wunsch schwangerer Frauen war damals heilig. Sie schickte einen Sklaven zum Schloß, um sich eine Weintraube holen zu lassen. Doch alsbald kehrte dieser stumm zurück. Die Königin staunte über seinen Zustand und schickte ihre treueste Zofe hinüber. Doch als diese zurückkehrte, vermochte auch sie nicht mehr zu sprechen. Als der junge König das erfuhr, tadelte er seine Gattin: »Geh doch selbst zur Nachbarin, begrüße sie und bleibe ein wenig bei ihr sitzen; dann wird sie dir wohl einen Teller Trauben vorsetzen. «
    »Ich habe Angst, alleine zu ihr zu gehen«, erwiderte die Königin. »Und doch will ich von diesenwunderbaren Trauben kosten.« So brachen beide zum Schloß auf. Als sie ankamen und den Garten mit den Gazellen bewundert hatten, stiegen sie die Treppen zum Gästeraum empor. Dort wurden sie von einer freundlichen alten Dame empfangen. Sie führte die beiden zu einem großen Sofa, legte ihnen zwei Federkissen in den Rücken und lächelte. »Die Herrin läßt sich entschuldigen, bis sie sich ihrem hohen Besuch entsprechend zurechtgemacht hat«, sprach sie und brachte beiden zwei goldene Wasserpfeifen. Das königliche Paar genoß den feinen Tabak, und als die Dienerin eine große Obstschale hereintrug, war ihre Freude über die großen roten Trauben unermeßlich. Voller Gier und Ungeduld griff die Königin zu und stopfte die Trauben hastig in ihren Mund. Plötzlich aber schrie sie auf und warf die Trauben zu Boden. »Sie sind vergiftet. Sie brennen wie Feuer«, kreischte sie und wälzte sich vor Schmerz auf dem Sofa. Der König wunderte sich, da er von den Trauben gegessen hatte, ohne einen Schmerz zu spüren. Er sprang aber voller Sorge auf und eilte zu seiner Gattin, gerade als Wintertraube den Raum betrat. Der König drehte sich zornig zu ihr um, doch er erschrak, denn sie trug die alten zerfetzten Kleider und schaute ihn mit dem wilden Antlitz an, das ihn so verzaubert hatte, als er ihr zum ersten Mal begegnet war. »Win … ter … traube …«, stotterte der König, schaute seine Mutter an, deren Gesicht immer mehr glühte und dunkelrot anlief. »Wer … ist diese Frau denn?« fragte er und tratvon seiner Mutter zurück, als die Haut ihres Gesichtes aufplatzte. »Die Trauben werden es dir zeigen, mein Geliebter. Sie ist deine Mutter!« Voller Wut wollte die Mutter auf Wintertraube zuspringen, doch diese rief: »Klebe, Kissen, klebe, laß sie nicht davonkommen«, und das Kissen verhinderte die Flucht der Mutter. Der König wollte seine Mutter erwürgen, doch Wintertraube hielt ihn zurück. »Laß sie. Sie wird mit ihren Wünschen hier im Schloß gefangen bleiben.«
    Im Nu verfiel das Schloß zu einer furchtbaren Ruine, in der die zornigen Flüche der Königin widerhallten. Der König nahm seine Wintertraube in den Arm und eilte nach Hause. Und wenn die Sklaven heute noch lebten, so würden sie schwören, daß sie den Unterschied zwischen beiden Wintertrauben nie bemerkt haben.

 
    TAKLA
    oder
    WARUM DER GROSSVATER
    VIERHUNDERT

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