Maerchen aus Malula
guter Dichter, hatte aber eine gräßliche Stimme, bei der die Raben auf ihr Krächzen stolz geworden wären. So sang er und wollte nicht aufhören, bis eine Schlägerei ausbrach, dann verprügelte er singend seine Widersacher.«
»Und Malula, wurde Malula wirklich dreihundertmal verbrannt, oder lügt der Opa?«
»Nein, er lügt nicht. Malula wurde oft verbrannt, aber dein Vater weiß mehr darüber. Frage ihn.« So fragte ich meinen Vater, als er aus der Bäckerei kam. »Mein Gott«, stöhnte er, »auf einmal willst du alles über Malula erfahren. Was ist in dich gefahren?«
»Opa!« antwortete ich. Mein Vater legte sich wie immer nach dem Essen eine halbe Stunde hin, und als er aufwachte, rief er nach mir. »Du wolltest von Malula hören. Gut. Malula wurde dreihundertmal verbrannt, doch seine Bewohner wollten es nicht verlassen. Sie klammerten sich an den Felsen. Man erzählt von Königen, die den Malulianern das Paradies versprachen, wenn sie das Dorf verlassen würden, doch sie wollten lieber in der kargen Landschaft ausharren. Man erzählt viel, die Legenden durchtränken den Boden so stark, daß die Suche nach der Wahrheit nur auf schweren Füßen geht.
Eines Tages kamen die Banden der Brandstifter. Sie griffen unser kleines Dorf an, dessen Bewohner sich zum Schutz auf die höchsten Berge zurückgezogen hatten, doch die Mörder rückten mit ihren Banden näher, besetzten die Felsen, plünderten und steckten das Kloster, drei Häuser und einige Felder in Brand. Man brachte uns Kinder in einer tiefen Höhle in Sicherheit, die man bis heute noch Burg nennt. Es waren wenige Gewehre im Dorf, doch die Malulianer kämpften mit dem Mut der Verzweifelten, sie vertrieben die Angreifer von den Felsen und verfolgten sie bis zur Ebene von Ain el-Tine. Danach kehrten die Männer zurück, und das Dorf empfing sie mit Jubel. Wir Kinder konnten von der Höhle inmitten des Felsens alles mitansehen. Doch alsbald rückten die Banden in einer zweiten Angriffswelle auf Malula zu. Diesmal kamen sie von der Ebene über die Terrassenfelder, und sie steckten die Bäume in Brand. Dein Großvater hat damals ein Lied über die Bäume gedichtet, die den Himmel verfluchen, weil er diese Banden nicht bestraft. Das Feuer machte die Nacht zum Tag, und so ging der Kampf ununterbrochen weiter bis zum nächsten Tag. Viele Malulianer mußten ihr Leben lassen, doch als die Brandstifter, Gott verfluche ihre Seele, dem Dorf die Botschaft schickten, ›Ergebt euch, sonst werdet ihr getötet‹, antworteten die Malulianer: ›Wir ergeben uns nie, auch wenn keiner von uns übrigbleiben sollte!‹
Der Kampf dauerte lange. Ein mutiger Bote wurdegesucht, um Waffen zu besorgen. Stell dir vor, wer sich da freiwillig gemeldet hat! Der Pfarrer. Eine heikle Aufgabe. Er mußte durch den Belagerungsring schlüpfen. Als Derwisch verkleidet, trug er sehr alte Kleider, einen Bettelnapf und einen Wanderstab in der Hand, doch in der Gegend von Jabrud faßten ihn einige Belagerer und fragten, wer er sei und woher er komme. ›Die Welt ist meine Heimat‹, antwortete er. ›Du bist doch der Pfarrer von Malula‹, widersprach einer, der ihm einmal im Dorf begegnet war. ›Ich kenne das Dorf nicht, doch gehört habe ich davon. Was ist mit Malula?‹ fragte der festgehaltene Derwisch.
›Das letzte Dorf der Aramäer‹, lachte einer der Belagerer.
›Auf meinen weiten Reisen habe ich viele Aramäer getroffen‹, entgegnete der Derwisch. ›Sie leben im Norden Syriens und in der Türkei. Wollt ihr alle diese Menschen umbringen?‹
›Ja‹, entgegnete der Hauptmann. ›Und wenn sie sich hinter den sieben Meeren verstecken, werde ich sie aufspüren und ihr letztes Kind umbringen‹, fügte er drohend hinzu, und seine Männer jubelten.
›Laß es dir von einem Derwisch sagen, mein Junge. Nur Gott ist allwissend, doch ich habe in einem alten Buch gelesen: Unter den Häusern Syriens sind aramäische Grundmauern, und jedesmal, wenn ein Aramäer stirbt, löst sich ein Stein davon in Luft auf. Die Mauer wird mit jedem verlorenen Steinschwächer. Hingegen befestigt jeder aramäische Neugeborene sie mit einem neuen Stein. Denkt daran, bevor es für eure Häuser zu spät ist‹, sprach der Pfarrer und ging vom Gelächter der Schar begleitet seines Weges. Immer wieder wurde er aufgehalten, doch er redete sich jedesmal heraus und setzte seine Reise fort. In Damaskus besorgte er Waffen und schmuggelte sie nach Malula. Mit diesen Waffen vertrieben die Malulianer die Angreifer und
Weitere Kostenlose Bücher