Märchen unter dem Wüsenhimmel
Stipendium. Es hat mir gefallen, weil es dort als positiv angesehen wurde, klug zu sein und viel zu lernen. Aber das Leben auf dem Campus hat mehr gekostet als erwartet. Meine Mom hatte kein Geld übrig, und ich musste mir etwas dazu verdienen.“ Sie öffnete die Augen. „Ich nehme an, das war nie ein Problem für dich?“
„Nein.“
„Das muss schön sein.“
„Wir hatten dafür andere Probleme.“
„Die hat wohl jeder. Jedenfalls habe ich Privatunterricht gegeben. Vor allem Sportlern, weil sie am besten bezahlten. Aber sie waren nur daran interessiert, irgendwie durchzukommen. Sie wollten nicht lernen. Ist das nicht schrecklich?“
Sie blinzelte. Ihre Lider waren ungewöhnlich schwer. „Eines Tages waren meine Studienunterlagen verschwunden. Ich stellte die Jungs zur Rede, aber sie wollten nicht zugeben, dass sie die Papiere gestohlen hatten. Ich weigerte mich, sie weiter zu unterrichten. Etwa drei Wochen später wurden sie beim Schummeln erwischt und sollten vom College verwiesen werden. Sie behaupteten, sie hätten ein System benutzt, das ich entworfen und ihnen verkauft hätte.“
Die Worte blieben ihr beinahe im Halse stecken. Es war so lange her, dass sie geglaubt hatte, es überwunden zu haben. Doch es schmerzte immer noch. „Sechs von ihnen erzählten dieselbe Geschichte. Niemand glaubte mir. Daher wurde ich zusammen mit ihnen vom College verwiesen. Ich ging nach Hause, nahm einen Job an, besuchte die Abendschule und machte schließlich meinen Abschluss. Aber das ist wahrscheinlich nicht das, was du wissen wolltest.“
„Ich will alles wissen, was du mir sagen willst.“
Sie versuchte zu lächeln, doch es misslang. „Das glaube ich nicht. Ich bezweifle, dass irgendetwas an meinem Leben interessant für dich ist.“
„Das ist nicht wahr.“ Er berührte ihre Wange, und es fühlte sich wundervoll an. „Warum bist du nicht wieder auf ein College gegangen?“
„Ich hatte Angst. Ich wollte das nicht noch einmal durchmachen. Ich habe mich nie so einsam gefühlt wie damals – außer als Gerald mich auf dem Flughafen sitzen gelassen hat.“
Khalil nahm ihr das Glas aus der Hand und murmelte: „Du, meine Wüstenrose, erzählst eine sehr traurige Geschichte. Aber all das wird sich ändern.“
„Versprichst du es?“
„Ja.“ Er rückte näher zu ihr und schloss sie in die Arme.
„Nichts wird dir je wieder wehtun.“
„Nicht mal du?“
„Am allerwenigsten ich.“
Dann küsste er sie. Ein Gefühl der Lethargie überkam sie, und die Augen fielen ihr zu.
6. KAPITEL
E in rothaariges Model schritt in einem dunkelbraunen säulenförmigen Seidenkleid durch den Vorführraum. Dora versuchte, den überschlanken Körper der Achtzehnjährigen zu ignorieren, und musterte das Gewand. Die Farbe sagte ihr durchaus zu, aber der Schnitt kam für sie überhaupt nicht in Frage.
Unbehaglich rutschte sie auf dem güldenen Stuhl in dem exklusiven Salon umher, in den Khalil sie geführt hatte. Er wollte ihr eine neue Garderobe kaufen, bevor sie am Nachmittag nach El Bahar flogen.
Sie wollte sich einreden, dass sie froh sein sollte über seine Großzügigkeit, dass er freundlich und aufmerksam war. Doch es gelang ihr nicht ganz, da sie an diesem Morgen allein im Bett aufgewacht war und er sich allen Anzeichen nach nicht zu ihr gesellt hatte.
Vermutlich musste sie die Schuld bei sich selbst suchen. Sie presste die Finger an die Schläfen. Ihr Kopf pochte immer noch und ermahnte sie, dass Alkohol auf leeren Magen nicht unbedingt zu empfehlen war.
Irgendwann musste sie eingeschlafen und von Khalil ins Bett gebracht worden sein. Natürlich wollte sie nicht, dass ihr Mann mit ihr schlief, während sie bewusstlos war. Technisch gesehen war nichts falsch. Dennoch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass auch nicht alles in Ordnung war. Schließlich hatte sie ihre Hochzeitsnacht allein verbracht.
Babette, die Besitzerin des Modesalons, befingerte die zarte Seide des Kleides. „Der Stoff ist außerordentlich, und die Farbe würde Madam fabelhaft stehen.“
Sicher, dachte Dora düster, würde es nicht verblüffend aussehen, wenn sich der Stoff über ihren Hüften spannte? Doch sie sagte nichts. Das exklusive Geschäft erweckte in ihr das Gefühl,fehl am Platze und unzulänglich zu sein. Alle Verkäuferinnen sahen wie Models aus. Auch Babette war zierlich gebaut und elegant gekleidet. Neben ihr fühlte Dora sich selbst in ihrem neuen blauen Lieblingskleid altbacken und dick.
Babette musterte sie
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