Märchen
noch dort.«
Großvaters alte Augen leuchteten, als er die Schafe betrachtete. Er zählte sie, und es waren so viele, wie der Wolf ihnen gestohlen hatte. »Es sieht so aus, als sollten wir wieder Schafschur halten auf Kapela«, sagte er schließlich zu Stina Maria. »Es sieht so aus, als müßte ich noch heute abend die Wollschere wetzen.
Falls nun diese Mondscheinschafe wirklich dir gehören.«
»Gewiß gehören sie mir«, sagte Stina Maria. »Jetzt sind sie weiß, aber vorher waren sie grau, und ich bekam sie von...«
»Still!« rief Großvater.
»Von jenen, die man nicht bei Namen nennen darf«, sagte Stina Maria.
Der Mond stieg höher und höher über den Schafstall, er schien auf den Angerund Kapelas Schafe und Lämmer. Großvater faßte seinen Stock fester und stieß ihn auf den Boden.
»Tu, tu, tu...«
»Still!« rief Stina Maria.
Und dann flüsterte sie ihm den Spruch ins Ohr, der so alt war wie Kapelas alter Hof.
Tu, tu, tu,
Schafe weit und breit,
heut wie allezeit,
so groß ist die Himmelsweid’.
Im Wald sind keine Räuber
m Wald sind keine Räuber!« schrie Peter und lief die Treppe zu Großmutters weißem Haus hinauf. »Im Wald sind keine I Räuber! «
Er war draußen gewesen und hatte mit Janssons Jungen gespielt.
Aber nun fing es an, dunkel zu werden, und es war bestimmt schon eine halbe Stunde vergangen, seit Großmutter ihren Kopf zum Fenster hinausgesteckt und ihn gerufen hatte.
Peter schwang sein Holzschwert und feuerte seine Platzpatronenpistole ab. Bei Großmutter war es lustig, und mit den Jungen von Janssons zu spielen, machte viel mehr Spaß, als mit den Jungen zu Hause zu spielen.
»Im Wald sind keine Räuber...«
In der Küche war Großmutter nicht.
»Im Wald sind keine Räuber...«
Im Wohnzimmer war sie auch nicht. Hinter den Klappen des Kachelofens brannte ein Feuer. Im Zimmer war kein Licht. In allen Ecken war es dunkel. Großmutters Schaukelstuhl stand neben dem Nähtischchen. Auf dem Sofa lag »Tausendundeine Nacht«
noch genauso aufgeschlagen, wie Peter es verlassen hatte, als die Jungen von Janssons ihn abgeholt hatten.
»Im Wald sind keine Räuber...«
Peter stieß das Holzschwert ins Sofa, und eine kleine weiße Feder kroch aus der Füllung hervor.
»Im Wald sind keine Räuber...«
Hinten in der Ecke stand das Puppenhaus, das Mama gehört hatte, als sie klein war. Es war ein sehr schönes Puppenhaus, da gab es unten eine Küche und ein Eßzimmer und im oberen Stockwerk ein Schlafzimmer und einen Salon. Im Salon saß eine kleine Puppe, die ein blaues Kleid anhatte. Sie hieß Mimmi.
Peter zielte mit seiner Platzpatronenpistole auf Mimmi und schrie wieder:
»Im Wald sind keine Räu-be-e-er!«
Da stand Mimmi von ihrem Stuhl auf und ging auf Peter zu.
»Da hast du aber gelogen«, sagte sie. »Im Wald sind doch Räuber!«
Sie sah so böse aus, daß Peter fast vergaß, erstaunt zu sein.
Denn eigentlich war es ja ein bißchen merkwürdig, daß eine Puppe sprechen konnte. So etwas gab es nur in Märchen und Geschichten. Peter beschloß, näher darüber nachzudenken, wenn er Zeit hatte. Jetzt hatte er keine Zeit, denn Mimmi wackelte mit den Augenbrauen und sagte:
»Du rennst hier herum und schreist, daß im Wald keine Räuber sind, und dabei wimmelt es dort nur so von Räubern. Komm her und guck durch mein Schlafzimmerfenster. Dann sollst du mal sehen!«
Sie nahm Peter bei der Hand und führte ihn aus dem Salon ins Schlafzimmer. Peter beschloß, näher darüber nachzudenken -
sobald er Zeit hatte -, wie es möglich war, daß er ins Puppenhaus paßte. Jetzt hatte er keine Zeit, denn Mimmi zog ihn zum Fenster.
»Guck vorsichtig durch die Gardinen, damit Fiolito dich nicht sieht«, sagte sie.
Peter guckte sehr vorsichtig. Eigentlich hätte er nichts anderes sehen dürfen als Großmutters Schaukelstuhl und das Nähtischchen, als er durch das Schlafzimmerfenster vom Puppenhaus sah. Aber er sah etwas ganz anderes. Einen dunklen Wald sah er nämlich.
Und hinter einem der vordersten Bäume stand ein Kerl mit schwarzem Schnurrbart in Schlapphut und Pelerine.
»Was sagst du nun?« fragte Mimmi triumphierend. »Ist das etwa kein Räuber? Das nächste Mal denk erst nach, bevor du so unüberlegt drauflosredest.«
»Ist das da - ist das Fiolito?« fragte Peter.
»Darauf kannst du dich verlassen«, sagte Mimmi. »Fiolito, der Räuberhauptmann. Er hat vierzig Räuber, die ihm auf den kleinsten Wink gehorchen.«
Und jetzt sah Peter fast hinter jedem Baum einen
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