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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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würde den Hund – oder den Seelöwen – nie wiedersehen. Da spürte sie einen Stich in ihrem diamantenen Herzen, trotz allem.
    Aber am nächsten Morgen lag ein Strauß aus Seerosen neben dem Nachtlager des Rosenmädchens. Es war eine Sorte Seerosen,die nur weit draußen auf dem Meer wächst und nur im Winter; jemand musste sie aus der Gischt gepflückt haben. Vielleicht ein Seelöwe. Das Rosenmädchen lächelte. Doch in der Luft lag der Schatten schwarzer Segel, nah schon, ganz nah, und die kleine Königin fror.«
    Abel sah in seine Kakaotasse. Trank den letzten Schluck Kakao, der längst kalt geworden war. Sah hinaus aufs Meer, das in der Februardämmerung lag. Schwieg. Vielleicht hatte er alle Worte verbraucht. Micha legte ein Stückchen Papierserviette auf Frau Margaretes Kopf wie ein Rosenblatt.
    »Ich … ich komme gleich wieder«, sagte Anna und stand auf. »Zu viel Tee. Rosenblättertee …«
    Im winzigen Vorraum zu den Toiletten war sie allein. Sie stellte sich vor den Spiegel, strich ihr dunkles Haar hinter die Ohren zurück und beugte sich vor, über die steinerne Platte mit den darin eingelassenen Waschbecken, so weit, bis sie beinahe die Nasenspitze ihres Spiegelbildes mit ihrer eigenen, wirklichen Nasenspitze berührte.
    Es war wahr. Sie hatte fünf winzige Sommersprossen dort. Man bemerkte sie nur, wenn man sehr genau hinsah. Sie atmete tief durch und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser.
    »Danke«, flüsterte sie schließlich. »Danke für die Seerosen. Es macht nichts aus, dass du die anderen Rosen zerbissen hast. Sie waren ganz unnötig.« Und dann lächelte sie ihr Spiegelbild an und fand es plötzlich schön.
    Abel und Micha sprachen nicht von der Geschichte, als Anna zurückkam. Sie sprachen von der Schule, Michas Schule, und von einem Bild, das sie gemalt hatte. Und von Michas Lehrerin mit den blonden Locken, Frau Milowicz, die einen Namen hatte, den Micha nie richtig aufschreiben konnte, und die immer mal mit Michas Mutter sprechen wollte.
    »Sie kann doch auch mit dir sprechen, oder?«, sagte Micha und zuckte die Achseln. »Hat sie doch auch schon, bei der Einschulung und so.«
    »Ist deine Mama da nicht mitgegangen?«, fragte Anna und bereute direkt, dass sie es gefragt hatte.
    »Ach, ich glaube, Mama mag Schulen nicht«, sagte Micha. »Sie hatte ja auch immer andere Sachen zu tun. Und manchmal musste sie morgens lange schlafen, wenn sie abends aus war. Mit ihrem letzten Freund war sie immer lange weg. Ich wollte noch sagen, dass wir einen Fisch malen mussten, und ich hab einen gemalt mit lauter ganz bunten Schuppen, und weißt du, was ich jetzt neu kann? Das X. Obwohl man das nie braucht. Komisch, was man bei denen alles lernt in dieser Schule, oder?«
    »Ja, komisch, was?«, sagte Abel und lachte. »Erzähl doch noch mal für Anna, wie ihr das Innere vom Auge durchgenommen habt, und keiner hat es verstanden …«
    Er wollte nicht über Michelle reden. Es kam Anna mehr und mehr so vor, als hätte Michelle einfach nur in der gleichen Wohnung gewohnt wie Abel und Micha, die zufällig ihre Kinder waren. Nichts, was sie bisher gehört hatte, klang so, als würde Abel erst auf Micha aufpassen, seitdem Michelle weg war. Es klang, als würde er auf Micha aufpassen, seitdem es Micha gab.
    Wie alt war er gewesen, als sie auf die Welt gekommen war? Elf? Und Rainer Lierski in der Wohnung … und dann hatten sie Rainer rausgeschmissen …
    Anna versuchte, die Rechnung zu bezahlen, doch Abels Blick wurde wieder kälter, und da ließ sie es.
    »Wir wollen keine Almosen«, sagte er leise.
    Sie nickte.
    Draußen vor dem Utkiek war es schwer, sich zu verabschieden. Anna fand nicht die richtigen Worte. Sie wollte sagen: Bis morgen. Aber sie wusste nicht, ob Abel morgen mit ihr sprechen würde oder wieder so tun, als kenne er sie nicht. Abel stand neben ihr, am Fuß der Treppe, die zum Café hinaufführte, und rauchte. Michas rosa Daunenjacke mit dem falschen Pelzkragen hüpfte vor ihnen im Schnee umher, sie versuchte, seltsame Spuren zu machen.
    »Das Problem ist, dass wir nicht an den kompletten Satz Hartz IV kommen«, sagte Abel ganz plötzlich. »Nicht, solange Michelle nicht da ist. Wir haben das Kindergeld. Immerhin.«
    »Ja«, sagte Anna. Und dann fiel ihr etwas ein. »Wie viele Konten habt ihr?«, fragte sie.
    »Na, eins«, antwortete Abel, ohne nachzudenken.
    »Wenn sie das Kindergeld überweisen … Abel, das heißt doch, dass du an das Konto kommst.«
    »Natürlich. Ich schmeiße den

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