Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
angerichtet, die sey ihre Feindinn, die ihr alles Gute verderbe; dabei sey sie sehr mächtig, und man werde ihr das Kind nicht leicht wieder nehmen können. Ueber diese Rede erbleichte die arme Königinn, und die Fee kroch vor Schaam und Kümmerniß in's Mauseloch.
Am andern Morgen kam der böse König, welcher wußte, daß das Kind gekommen seyn müsse, in den Kerker der unglücklichen Mutter, und fragte, wo das Kind sey? Als die Königinn ihm sagte, es sey fort, und eine böse Fee habe es ihr mit List und Gewalt genommen, da wurde er grimmig, und rief wüthend: »Nun sollst du hängen, wie ich es dir gedrohet habe, und ich will dich selbst mit dem Stricke am Baume hinaufziehen, und meine Lust daran haben!«
Hiemit zog er die Königinn an den Haaren hinter sich her nach einem Walde hin, wo er auf einen Baum stieg, und die arme Verlassene am Stricke hinaufziehen wollte. Aber die gute Fee stieß umsichtbar den ruchlosen König vom Baume herab, daß er einen schweren Fall zur Erde that, und sich Arme und Beine heftig zerschlug.
Während ihm nun seine Leute zu Hülfe kamen, führte die Fee die gerettete Königinn in ihrem Luftwagen davon, und behielt sie bei sich und ließ es ihr an nichts fehlen. Die Königinn lebte hier nun ganz zufrieden, denn sie hatte bei der guten Fee ja Alles, was ihr Herz nur verlangen konnte; aber sie war doch oft sehr betrübt, daß sie nicht ihr liebes Kind bei sich hatte, nach welchem ihr Mutterherz große Sehnsucht empfand.
Funfzehn Jahre hatte bereits die Königinn in dieser Einsamkeit zugebracht, als man hörte, der Sohn des bösen Königs, der Prinz Unhold, wie man ihn nannte, wollte sein Gänsemädchen heirathen, die aber wolle ihn durchaus nicht haben; die schönsten, kostbarsten Brautkleider habe er ihr geschenkt, allein sie wolle dieselben nicht anziehen. Darüber wunderte sich alle Welt gar sehr.
Prinz Unhold aber dachte, er wolle das Mädchen zur Heirath schon zwingen, und hatte viele Gäste zur Hochzeit eingeladen, die auch in kurzer Zeit wohl hundert Meilen weit her gekommen waren.
Die gute Fee war auch mit unter den Gästen, denn sie hatte sich wieder in ein Mäuschen verwandelt, und kroch in ein Kämmerchen neben dem Gänsestall, worin das Gänsemädchen wohnte. Da lagen die prächtigsten Kleider, Bänder, Spitzen, Ringe und kostbare Steine auf dem Boden neben dem Mädchen; das Mädchen aber war gar schlecht gekleidet, und dennoch sah es die herrlichen und glänzenden Sachen nicht einmal an.
Jetzt nun trat der Prinz Unhold zum Gänsemädchen, und sagte: »Nun ist's hohe Zeit, du nichtswürdiges Ding; nimm mich und habe mich lieb, oder ich schlage dich todt!« Das Mädchen aber hatte Herz, und antwortete dreist: »Wer kann dich denn lieb haben? Du bist ja gar nicht liebenswürdig, sondern abscheulich. Ja, an Deine häßliche Ungestalt wollte ich mich wohl noch gewöhnen, denn die hast Du Dir nicht selbst gegeben; aber Du bist auch so boshaft und grausam und tückisch. Darum will ich Dich nicht, und mag Dich nicht; schlage mich lieber nur todt, das ist viel besser für mich!«
Der Unhold wußte nicht, was er anfangen sollte, und ging fort. Die kleine Maus aber verwunderte sich über den Muth des Mädchens, noch mehr aber über seine außerordentliche, wunderherrliche Schönheit.
Am andern Morgen trat die Fee in der Gestalt einer Hirtinn zum Mädchen, als es die Gänse wieder hütete, und erkundigte sich nach Allem. Da erzählte die schöne Gänsemagd, daß sie Thränenblüthe heiße, und wäre der bösen Fee Gangrüne entlaufen, die sie immer gepeitscht und gequält hätte ohne Schuld, und nun wäre sie hier ein Gänsemädchen geworden, und wolle das lieber bleiben ihr Lebelang, als den garstigen, bösen Prinzen heirathen, oder sich lieber heut Abend in den finstern Thurm einsperren lassen, und darin bis zum Tode bleiben, wie der Prinz ihr gedrohet habe, wo sie ihn nicht noch heute zum Gemahl nähme.
»Ich weiß nun Alles,« sagte die Hirtinn; »laß Dich nur einsperren, ich will Dir schon helfen.«
Thränenblüthe wurde eingesperrt; aber in derselben Nacht verwandelte sich die Fee in eine Maus, und biß den König jetzt in das eine und jetzt in das andere Ohr, daß das Blut häufig darnach floß. Dann rannte sie behend zu dem Bette des Prinzen, und machte es mit ihm eben so, und zerkratzte ihm noch das Gesicht. Und als der König ein Bißchen wieder eingeschlafen war, biß sie ihn in die Nasenspitze, daß er vor
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