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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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einer ausgedehnten Dusche zog ich meine bequemen dunklen Klamotten an und hängte das gelbe Kleid in den Schrank, damit es mich nicht mehr an gestern Abend erinnern konnte. Ein Abend, der vielversprechend angefangen, jedoch ein grauenvolles Ende genommen hatte.
    Maries Sandalen hingen an den Riemchen von meinen Fingern, als ich nach unten tapste und sie summend im Wohnzimmer vorfand. Sie putzte gerade die riesigen Fensterscheiben. Ich blieb in der Tür stehen und räusperte mich, damit sie sich zu mir umdrehte.
    „Danke für die Schuhe“, sagte ich und hielt dabei die Sandalen kurz hoch.
    „Gern geschehen. Du kannst sie dir jeder Zeit wieder ausleihen.“ Meine Tante wrang einen rosa Lappen über dem Wassereimer am Fußboden aus. Das Fensterglas quietschte, als sie weiterwischte. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich sie dir gestern Nacht ausgezogen habe.“
    „Du warst in meinem Zimmer?“
    „Ich wollte nur nachsehen, ob auch alles in Ordnung war. Ich habe dich nicht sehr lange auf der Feier gesehen.“
    „Ich war gestern schon ziemlich müde“, entschuldigte ich mich und senkte dabei meinen Blick, obwohl Marie nicht einmal zu mir rübersah.
    „Du hast so tief geschlafen, da wollte ich dich einfach nicht aufwecken. In der Küche steht ein kleiner Imbiss für dich bereit. Wir beide sind heute allein zu Hause. Ich werde also erst am Abend kochen.“
    Ich stellte die Sandalen neben ihre vielen anderen Paar Schuhe im Garderobenschrank und ging dann weiter in die Küche. Auf dem Tisch standen ein Teller mit einem Sandwich und ein Glas Orangensaft. Ich biss eine Ecke des Snacks ab und rief dann mit vollem Mund: „Wo sind denn alle?“
    „Albert ist draußen in den Weinbergen und Julian musste deine Mutter zum Arzt fahren“, tönte Maries Stimme aus dem Wohnzimmer.
    Warum musste Charlene zum Arzt? Hatte sich ihr Zustand etwa verschlechtert? Die erwartete Freude über diese Neuigkeit blieb aus. Stattdessen verspürte ich eine seltsame Beklemmung und erinnerte mich an Julians Worte von letzter Nacht. Doch Charlene musste bestimmt noch nicht sterben.
    Oder?
    Mit einem großen Schluck Orangensaft ertränkte ich das drückende Gefühl in meiner Brust. „Geht es ihr nicht gut?“, fragte ich laut über meine Schulter, während ich den leeren Teller abspülte. Als ich mich umdrehte, stand Marie hinter mir in der Tür. Ich zuckte vor Schreck zusammen. „Um Gottes willen, Marie! Du solltest dich nicht so anschleichen!“
    Meine Tante betrachtete mich mit einem interessierten Lächeln im Gesicht. „Ich glaube nicht, dass es der Krebs ist, der ihr im Moment Probleme bereitet. Sie hat heute Morgen sehr stark gehustet. Es könnte also eine ganz einfache Erkältung sein.“ Sie neigte ihren Kopf. „Aber ich werd sie wissen lassen, dass du dich um sie sorgst. Es wird sie bestimmt sehr freuen.“
    Entgeistert verzog ich das Gesicht. „Es wäre mir eigentlich lieber, wenn du nichts zu ihr sagen würdest.“ Ich machte mir ja auch nicht wirklich Sorgen um sie, ich war nur neugierig gewesen. Ja. Neugierig. Nichts weiter.
    Eine ganze Weile sahen wir uns schweigend an. Dann kam sie plötzlich auf mich zu, nahm meine Hand und zog mich raus in die Halle, wo sie ihre Hausschuhe gegen ein Paar Turnschuhe tauschte. „Komm mit, Chérie . Ich möchte dir etwas zeigen.“
    Zögerlich folgte ich ihr hinaus durch die Tür und die Straße hinunter. Hin und wieder fuhr ein Auto an uns vorbei, doch sonst war die Straße menschenleer. „Wohin gehen wir?“
    „Das wirst du gleich sehen. Es ist nicht sehr weit.“ Mehr sagte sie nicht.
    Nach fünf Minuten Fußmarsch erreichten wir den örtlichen Friedhof. Was wollte sie denn hier? Ich zwängte mich hinter ihr durch das schwere Eisentor, das nur einen Spalt breit offen stand, dann folgte ich ihr durch den Irrgarten aus Gräbern. Wir passierten unzählige imposante Grabsteine in allen möglichen Formen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich im Vorbeigehen ein paar der Namen und Inschriften las. Isabelle Turmoire war letztes Jahr gestorben. Sie war nur sieben Jahre alt geworden. Das blonde Mädchen lächelte von einem Foto, das neben ihren Sterbedaten hing.
    Am anderen Ende der Reihe blieb Marie vor einem breiten Doppelgrab stehen und zog mich an meinem Ärmel zu sich. Ich warf ihr einen seitlichen Blick zu und las dann die Inschrift auf dem cremeweißen Marmorstein.
    Catharine & Joè Montiniere.
    Neben dem eingravierten und mit goldener Farbe bemalten Kreuz in der Mitte

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