Märchensommer (German Edition)
vorsichtig meine Hände öffnete, sodass ich mein Kleid losließ.
„Ich wollte dich nicht als Geschenk einpacken“, sagte er so sanft, dass meine Haut dabei kribbelte, als würde jemand mit einer Feder darüber streichen. „Ich habe gesehen, wie du das Kleid im Geschäft bewundert hast. Nur einmal wollte ich, dass du selbst erkennst, wie hübsch du bist. Nicht für deine Mutter oder Marie oder die Gäste. Sondern nur für dich ganz allein.“
Mein Mund war trocken und ich schluckte schwer. „Ich weiß nicht, was du an jenem Tag gesehen hast. Aber ich hab nie gesagt, dass mir das Kleid gefällt. Und ganz sicher dachte ich nicht, dass es mich hübsch macht.“
„Aber das bist du“, flüsterte Julian. Im selben Moment zog er mich an sich. „Das hübscheste Mädchen, das ich kenne. Es tut mir leid, dass ich dich heute hintergangen habe, nur damit du mit mir auf dieses Fest gehst. Aber der Kuss am Strand hatte nichts damit zu tun.“
Meine Finger lagen gespreizt auf seiner Brust. Sein warmer Atem war wie ein Streicheln auf meiner Wange. „Warum hast du mich dann geküsst?“
Julian ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Weil ich gerade dabei bin, mich in dich zu verlieben.“
22. Kann ich bitte meine Liste wiederhaben?
LEISE MUSIK DRANG von den Weinbergen zu uns herüber. Meine Füße hatten am Eingang zum Garten Wuzeln geschlagen, als Julians Worte langsam zu mir durchdrangen.
Er hatte mich gern. Mehr sogar. Er war verliebt. In mich …
Durch den Jubel und das Klatschen in der Ferne zerplatzte meine Gedankenblase. So wie es aussah, hatte ich die gute Laune mit meinem Verlassen der Geburtstagsparty nicht im Geringsten beeinträchtigt.
Julians Augen funkelten im Mondschein. Zweifellos wartete er darauf, dass ich etwas erwiderte. Meine Hände lagen immer noch wie angefroren auf seiner Brust. Er hielt meine Hangelenke fest und streichelte meine Handrücken mit seinen Daumen. Was sollte ich ihm nur sagen? Dass ich aus irgendeinem Grund ständig sein Lächeln vor Augen hatte und ihm sowieso schon seit Wochen verfallen war?
„Ich …“ Meine Stimme war kaum hörbar. Ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Nicht, wenn ich wusste, dass ich diese Gefühle für Julian eigentlich gar nicht haben sollte.
Was war nur in mich gefahren? Den größten Teil meines Lebens hatte ich es geschafft, mich auf niemanden einzulassen. Keine Freunde, keine Vertrauten. Niemand. Es grenzte schon an ein Wunder, dass Quinn Madison so nahe an mich rangekommen war. Wie weit mich das gebracht hatte, hatten wir ja gesehen, als er mich in die Fänge des Drachens übergab, ohne um mich zu kämpfen.
Noch nie zuvor hatte meine Schutzmauer zu bröckeln begonnen. Warum also gerade jetzt? Warum stand ich nun vor Julian und wusste nicht, was ich sagen sollte? Oder wichtiger noch, warum wollte ich ihm Dinge sagen, die ich nicht so meinen durfte?
Ich zog meine Hände langsam unter seinen weg und machte einen kleinen Schritt zurück. Eine Leere schwappte durch mich hindurch. Am liebsten wollte ich mich auf den Boden werfen und im Gras zusammenkauern. Tränen stiegen mir bereits in die Augen. Der Schmerz, verbunden mit einer unbeschreiblichen Sehnsucht, war furchtbar. Ich wollte das nicht fühlen.
Ich musste hier weg. Weg von Julian, damit ich wieder klar denken und die solide Ziegelmauer um mein Herz neu errichten konnte. Dann würde ich nicht mehr leiden müssen.
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und rannte, so schnell ich mit Maries Sandalen konnte, zum Haus rüber.
„Jona! Warte!“, hörte ich Julians Ruf hinter mir, doch ich drehte mich nicht mehr um, sondern lief einfach weiter. Tränen rollten bereits meine Wangen hinunter, als ich die Vordertür erreichte und nach oben in meine Zimmer eilte. Ich schlug die Tür hinter mir zu. Ein lauter Donner hallte dabei durchs ganze Haus.
Mit zittrigen Händen wischte ich mir die verräterischen Tränen vom Gesicht. Ich hätte es besser wissen müssen. Julian zu küssen war ein furchtbarer Fehler gewesen. Nun hatte ich den Salat.
Durch die offene Balkontür konnte ich in der Ferne den schwachen Lichtschein der Feier erkennen. Ich stand auf der Schwelle und versuchte genauer hinzusehen. Julian war bestimmt schon wieder auf dem Weg zurück, doch ich konnte ihn in der Menge nicht ausmachen. Alles war zu weit weg.
Der weiße Vorhang wehte hinter mir, als ich mich umdrehte und verärgert in meinem Zimmer im Kreis marschierte. Verflucht seien Julian und meine Schwäche für ihn.
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