Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
Vom Netzwerk:
klitzekleines bisschen schneller. Vielleicht wäre es gar nicht so übel, abends von ihm zugedeckt zu werden.
    Plötzlich blieb Julian stehen. Er blickte über seine Schulter zu mir hoch, als wüsste er, dass ich ihn gerade beobachtete. Seine blauen Augen funkelten dabei.
    Au Backe. Meine Ohren glühten, als ich vom Geländer zurückschnellte. Ich wirbelte herum zu Marie und ließ mich von ihr zu meinem Zimmer führen. Von unten tönte ein leises Lachen.
    „Wir haben hier oben auch eine kleine Bibliothek“, erklärte mir Marie und zeigte dabei auf eine Tür, die rechts um die Ecke lag. „Du kannst dir also jederzeit ein Buch holen, wenn du möchtest. Julian wohnt in dem Zimmer da hinten. Und das hier ist deins.“
    Na großartig. Julian lebte nicht nur im selben Haus, nein, er musste natürlich auch in dem Zimmer neben mir schlafen. Fünfzig Zentimeter Mauer waren alles, was uns nachts trennte. Ich konnte ein missbilligendes Stöhnen nicht unterdrücken.
    Marie öffnete die Tür neben Julians und ließ mich vorausgehen. Als ich den ersten Fuß über die Schwelle setzte, befand ich mich plötzlich in einem fünf mal fünf Meter großen Fleckchen Himmel. Mir blieb die Luft weg, und ich hatte das Gefühl, dass mir der Mund gerade meilenweit offen stand.
    Durch die großen, quadratischen Fenster auf zwei angrenzenden Seiten wurde das Zimmer geradezu von Sonnenlicht überschwemmt. Der Wind spielte verträumt mit den zarten weißen Vorhängen in der offenen Balkontür und gab dabei immer mal wieder kurz die Sicht nach draußen frei.
    Die Gummisohlen meiner Stiefel machten ein quietschendes Geräusch auf dem hellgrauen Parkett, als ich zaghaft weiter in den Raum trat. Ich zog die Linien des Teddybären nach, der in das Brett am Fußende des hellen Holzbettes geschnitzt war. Dann ließ ich meine Fingerspitzen über die Bettdecke mit Blumendesign gleiten. Das seidenweiche Material fühlte sich verboten herrlich an—nicht zu vergleichen mit den kratzigen, steifen Bettlaken und Decken im Jugendheim.
    „Ich hoffe, dieses Zimmer kommt dir nicht zu kindisch vor.“ Die unsichere Stimme meiner Tante brach durch meine Gedanken. „Albert hat die Möbel aus Holz von unserem eigenen Wald gezimmert. Damals, als wir erst frisch verheiratet waren und noch gehofft hatten, einmal selbst Kinder zu bekommen.“
    In dem großen Spiegel an der Schranktür gegenüber vom Bett sah ich, wie Marie mit traurigem Gesicht in einem weißen Schaukelstuhl in der Ecke neben der Tür sanft vor und zurück schwang. Sie drückte dabei einen Teddy fest an ihre Brust. Obwohl ich gestern Nacht nicht wirklich aufgepasst hatte, was Charlene so alles erzählte, war mir doch in Erinnerung geblieben, dass meine Tante keine Kinder bekommen konnte. Wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte ich wohl einfach nach dem Grund gefragt. Doch das war die Frau, die mich vom ersten Moment an mit diesen großen, hoffnungsvollen und vor allem freundlichen Augen angeblickt hatte. Zu ihr wollte ich, wenn auch als Einzige in diesem Haus, nicht grob sein.
    Doch mein Blick sprach vermutlich sowieso grad Bände, denn im nächsten Moment seufzte sie und sagte: „Ein genetischer Fehler.“ Sie erhob sich vom Schaukelstuhl, setzte den Bären zurück an seinen Platz und kam langsam auf mich zu. „Ich kann nicht schwanger werden.“ Als sie mir zärtlich über die Wange streichelte, fragte ich mich, ob sie sich in all den Jahren genauso sehr nach einem Kind gesehnt hatte, wie ich mich nach einer liebevollen Mutter. Mein Leben wäre so ganz anders verlaufen, wenn ich als ihre Tochter zur Welt gekommen wäre.
    Marie hätte mich bestimmt geliebt.
    Ich verbiss mir den Zorn über diese Erkenntnis. Schließlich wollte ich diese Frau vor mir gar nicht so gernhaben. Doch als sie ihre Hand von meinem Gesicht nahm, griff ich beinahe danach, um sie wieder zurück an meine Wange zu legen. Ich kaschierte diese dumme Geste, indem ich mich schnell an der Nase kratzte. Dann stapfte ich zu einer weiteren Tür im Raum, die einen Spalt offen stand. „Was ist da drin?“
    „Ein Badezimmer. Beide Räume in diesem Stock haben ein eigenes.“
    „Ich werd verrückt! Mein eigenes Badezimmer?“ Ich stieß die Tür weiter auf und lehnte mich kurz um die Ecke, dann blickte ich zurück zu Marie. „Lass mich raten. Ihr habt euch eine Tochter gewünscht?“
    Meine Tante lachte. „Was hat mich verraten? Die rosa und weißen Fliesen?“
    Ich nickte.
    „Ja, ich hab mir immer ein kleines Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher