Märchensommer (German Edition)
und wieder rieb er sich das Genick, wenn er versuchte, sich an etwas Spezielles zu erinnern. Und manchmal leckte er sich mit der Zunge über die Oberlippe. Dabei bekam ich Herzklopfen. Ich hätte ihm noch Stunden zuhören können.
Als mich ein Gähnen überfiel, versuchte ich es in meiner Armbeuge zu verstecken, nur damit er nicht aufhörte zu reden. Doch Julian bemerkte es natürlich. Er streifte mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Bei der zarten Berührung seiner Finger, die er über meine Wange zog, bevor er seine Hand wieder wegnahm, wurde mir heiß und kalt zugleich. Die Haut auf meiner Wange prickelte.
„Es war ein langer Tag“, meinte er. „Du solltest ins Bett gehen und dich ausruhen. Ich hab sowieso schon viel zu lange geschwafelt. Ich muss dich doch langweilen.“
„Nein“, rief ich fast ein wenig zu laut. „Bitte erzähl weiter.“
Das Funkeln in seinem Blick wurde für einen Moment noch intensiver als zuvor. Noch nie hatte ich so besondere Augen gesehen. Schließlich gab Julian meinem Bitten nach und fuhr mit seinen Erzählungen fort.
Nichts hätte mich heute Nacht davon abgehalten, seiner Stimme zu lauschen. Nicht einmal die Müdigkeit, die über mich hereinbrach. Ich schloss einfach meine Augen und hörte ihm weiter zu.
Bereits halb eingeschlafen, spürte ich, wie sich zwei Arme unter mich schoben. Einer unter meine Knie, der andere hinter meinen Rücken. Als ich sanft vom Boden hochgehoben wurde, rollte mein Kopf zur Seite und kam auf einer bequemen Schulter zum Liegen. Meine Nasenspitze stieß gegen Julians Hals. Seine Haut war warm und zart.
Langsam bewegte ich meine Hand über seine Brust nach oben und hielt mich an seinem Nacken fest. Sein kurz geschorener Haaransatz kitzelte mich an der Handinnenfläche. Wenn ich nicht gerade am Wegdriften gewesen wäre, hätte ich wohl meine Finger weiter nach oben in seine weichen Haarsträhnen geschoben und angefangen, damit zu spielen.
Weil ich mich so fest an ihn geklammert hatte, musste Julian sich mit mir runterbeugen, als er mich auf mein Bett legte. Sein sanfter, warmer Atem strich mir übers Gesicht. Ich öffnete kurz die Augen. Mit einem zarten Lächeln sagte er mir Gute Nacht.
Bitte geh noch nicht.
Julian zog seinen Arm unter meinen Knien raus und meine aufgestellten Beine kippten zur Seite. Mit Gefühl lockerte er meinen Griff um seinen Nacken. Dann legte er meine Hände auf meinen Bauch. „Schlaf süß, Prinzessin“, flüsterte er und strich mir dabei die Ponyfransen aus dem Gesicht.
Ich blinzelte in Zeitlupe und grub mein Gesicht tiefer in das Kissen. Durch einen Schleier aus Schlaf sah ich zu, wie Julian sich umdrehte. Seine Finger schweiften über den Wecker auf meinem Nachttisch. Die Zeiger der Uhr fuhren wie verrückt im Kreis.
„Wir sehen uns morgen“, sagte er in einem hypnotisch zuversichtlichen Ton und verschwand durch meine Balkontür.
12. Wilde Träume und ein Grund zu bleiben
ICH STAND NEBEN Julian auf dem Balkon und der kleine Spatz mit den Knopfaugen saß gemütlich in seinen Händen. Julian grinste, als würde er für Zahnpasta werben. „Bist du so weit?“
Ich nickte und er ging leicht in die Hocke. Als er sich dann ruckartig streckte, hob er vom Boden ab und schwebte nach oben zum Dach. In der Zwischenzeit salutierte ich wie ein Soldat der britischen Leibgarde und sang dabei „God Save the Queen“. Doch das Gezwitscher über meinem Kopf übertönte mein Trällern. Ich schmetterte gerade „Long may she reign“, da schoss ich plötzlich hoch, saß kerzengerade in meinem Bett und blickte mich verstört in meinem Zimmer um. Donnerwetter, ich hörte sogar noch, wie ich selbst vor Schreck nach Luft schnappte. Was war denn passiert?
Durch das Fenster strömte grelles Tageslicht. Aber Moment mal. Das konnte doch eigentlich gar nicht sein. Wieso war ich denn immer noch hier und nicht bereits in einem Flugzeug nach London?
Die Erinnerung an letzte Nacht kehrte langsam zu mir zurück. Ich. Julian. Der Balkon. Mir wurde plötzlich warm und ich musste lächeln. Hatte er mich wirklich in mein Zimmer getragen? Sein Duft schien immer noch im Raum zu hängen. Mmm. Ich atmete tief durch die Nase ein. Erst als ich dabei meine Arme um mich selbst schlang und meine Finger sich in weiche Baumwolle gruben, wurde mir klar, woher dieser angenehme Geruch tatsächlich stammte. Ich hatte immer noch Julians Sweater an.
Und meine Jeans obendrein. Er hatte mich letzte Nacht also tatsächlich zu Bett gebracht. Ich streifte
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