Märchensommer (German Edition)
offenbar keine Grenzen. „Danke. Aber das wird auf gar keinen Fall nötig sein“, murmelte ich. „Ich brauche wirklich nichts.“
Maries Mund verzog sich zu einem Schmollen. Na schön. Aber wenn du doch noch etwas findest, das dir gefällt, dann sag es mir bitte.“
Das würde zwar nicht passieren, trotzdem nickte ich, nur um sie glücklich zu machen. Eine Sekunde später war sie auch schon in einer der Kabinen mit Schwingtür verschwunden, und ich hatte Gelegenheit, mich ein wenig umzusehen, wenn auch nur zum Spaß. An allen Ecken standen schlanke Schaufensterpuppen, die die neueste Mode zur Schau stellten. Eine von diesen Puppen sah aus wie eine Afrikanerin, nur ohne Haare. Ich blieb stehen und bestaunte ihr kurzes löwenzahngelbes Kleid.
Es war schulterfrei und man musste die Träger im Nacken verschließen. Der tiefe, herzförmige Ausschnitt formte ein tolles Dekolleté. Die Taille war höher angesetzt, im Babydoll-Stil. Es wirkte irgendwie mädchenhaft und gleichzeitig sehr elegant. Die schlanken Beine der Puppe zeichneten sich unter den drei hauchdünnen Lagen von Stoff ab, die den Rock bildeten. Außerdem hatte man ihre Füße in halsbrecherische High Heels gepackt. Das ganze Paket war atemberaubend.
„Du würdest sicher umwerfend in diesem Kleid aussehen. Ein wenig ungewohnt vielleicht, aber bezaubernd.“
Ich wirbelte herum und fand Julian lässig ausgestreckt in einem quadratischen Ledersessel neben einer anderen Puppe drei Meter entfernt. Den Kopf nach hinten auf die Rückenlehne gelegt und die Hände über dem Bauch verschränkt, blinzelte er unter seinen langen Wimpern hervor. Seine Mundwinkel zuckten.
Ich lachte laut. „Du spinnst. Ich in dem Kleid? Niemals.“
„Was passt dir denn daran nicht?“ Er richtete sich auf und lehnte sich dann, mit den Ellbogen auf die Knie gestützt, vor.
Ich machte einen Schritt zur Seite, um ihm einen besseren Blick auf die Puppe auf dem breiten weißen Podest zu gewähren, und fuchtelte wild gestikulierend vor dem Kleid herum. „Na, es ist knallgelb.“
„Ja und?“ Geschmeidig wie ein Kater stand er von dem Ledersessel auf, schob die Hände in die Taschen und kam auf mich zugeschlendert. „Ein wenig Farbe würde dir zur Abwechslung mal ganz gut stehen. Warum trägst du eigentlich immer nur Schwarz? Du gehst ja nicht zu einer Beerdigung.“
„Noch nicht.“
„Jona“, sagte er mit tiefer Stimme. „Ich meine es ernst.“
Das tat ich auch. Doch dann zuckte ich mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir gefällt Schwarz eben. Damit fällt man am wenigsten auf.“
„Was wiederum ganz praktisch ist, wenn die Polizei hinter einem her ist, nehme ich an.“ Ein Zucken in seinem Kiefermuskel und ein Grübchen verrieten mir, dass er sich gerade wieder ein Schmunzeln verkniff.
Großartig. An mir nagte der Zorn. Die alltäglichen Eskapaden aus meinem Leben schienen ihn ja sehr zu erheitern. „Warum auf den ganzen Spaß verzichten?“, konterte ich. „Ein Adrenalinkick, wie man ihn während der Flucht spürt, würde dir und deinem steifen Leben vielleicht auch mal ganz gut tun.“ Ich setzte ein falsches Grinsen auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ooh, Zicke“, sagte er affektiert. „Beißt du auch?“ Julian biss zweimal die Zähne aufeinander, sodass sie laut klapperten, machte kehrt und spazierte davon.
Ich hörte noch sein heiteres Lachen, woraufhin ich ihm den Mittelfinger zeigte, doch er sah es nicht mehr. Als er verschwunden war, wandte ich mich noch einmal dem Kleid zu. Ich … in knallgelb. Der hatte doch einen Knall.
„Ich denke ich werde diese Hose und die paar Blusen nehmen“, hörte ich Marie etwas weiter hinter mir sagen. Ich drehte mich zu ihr um. Sie hielt gerade eine der Blusen hoch und betrachtete sie mit Skepsis, als wäre sie sich bei diesem Teil doch noch nicht ganz sicher. Schließlich legte sie sie aber zu den anderen über ihren Arm und sah zu mir hoch. „Gefällt dir das Kleid?“
Ich ließ erschrocken den Stoff des Rockes los. „Nein.“
„Warum nicht?“
„Ist nicht meine Farbe.“
Marie bestaunte nun die Puppe von oben bis unten, so wie ich gerade eben. „Ich denke, das Kleid würde dir sehr gut stehen.“
Nein, bitte. Nicht sie auch noch. „Bist du hier fertig? Ich hab vorhin auf der anderen Straßenseite einen netten Laden gesehen. Da können wir nachher noch reinschauen.“ Die Lüge sollte sie ablenken, damit sie das dumme Kleid vergaß und mich nicht auch noch dazu überreden wollte, es
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