Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
Vom Netzwerk:
unbehagliche Blicke aus, doch keiner der beiden sagte ein Wort. Aber natürlich konnte einer seinen Mund wieder einmal nicht halten. Julians zarte Finger griffen nach meinem Kinn und er drehte mich mit dem Gesicht zu sich. „Hat dir schon mal jemand gesagt, was für ein rotzfreches Kind du bist?“
    Kind? Ich war kein Kind mehr! Kinder hatten Mütter. Ich hatte keine.
    Doch was er sagte, war gar nicht so wichtig. Es war sein enttäuschter und vielleicht sogar verletzter Blick, der mich wirklich traf. Ich starrte immer noch sprachlos in seine Richtung, als er bereits Zucker in seinen Kaffee löffelte, umrührte und sich dann in seinem Sessel zurücklehnte, ohne einen Schluck zu trinken. Unglaublich, wie er es geschafft hatte, dass ich mir plötzlich wünschte, ich hätte nichts zu meiner Mutter gesagt.
    Es jagte mir eine Heidenangst ein, wie viel mir seine Meinung plötzlich wert geworden war. Es war mir doch sonst immer egal gewesen, was Leute über mich dachten. Was war diesmal anders?
    Ich schlürfte meinen Kaffee schwarz und schnell, um den grausigen Geschmack von schlechtem Gewissen runterzuspülen. Dann entschuldigte ich mich von der Runde, die gerade genüsslich ihren Kuchen aß, und machte mich aus dem Staub. Ich brauchte etwas Zeit für mich. Den ganzen Tag so viele Leute um mich zu haben strengte auf Dauer ganz schön an. Im Jugendheim hatte ich drei Viertel meiner Zeit alleine in meinem Zimmer verbracht. Das war hier unmöglich.
    Umso überraschter war ich, als ich mich plötzlich in den Weinbergen wiederfand und nicht, wie erwartet, zusammengerollt und schmollend auf meinem Bett.
    Dieser Ort war mir in den letzten Tagen so sehr ans Herz gewachsen, dass mir die Arbeit hier draußen heute richtig fehlte. Ich blieb auf dem Kiesweg stehen und massierte die Stelle zwischen meinen Augen mit Daumen und Zeigefinger. Ein zögerlicher Blick zurück zum Haus und nach oben zu meiner offenen Balkontür bestätigte meine beängstigende Vermutung. Ich war dabei, mich in diesen gottverdammten Ort zu verlieben. Scheiße noch mal. Ich drehte mich um und fuhr mir verzweifelt mit den Fingern durchs Haar, doch mein Blick schweifte zurück zu Julians und meinem Balkon. Ein langes Seufzen verließ meine Lippen.
    Was würde Quinn jetzt sagen, wenn er mich hier sehen könnte? Mir fehlte mein Freund. Sein Schimpfen, wann immer ich wieder auf dem Polizeirevier aufgetaucht war, genauso sehr wie unsere frechen Unterhaltungen, wenn er mich vor dem Ausliefern an die Heimleitung noch schnell zu McDonald’s auf einen Cheeseburger und eine Cola entführt hatte.
    Er würde wollen, dass ich glücklich war. Wenn du etwas nicht ändern kannst, dann mach das Beste draus. Das waren immer seine Worte gewesen. Vielleicht sollte ich endlich einmal auf ihn hören.
    Ich kickte ein paar Steine aus dem Weg und konnte dadurch etwas Dampf ablassen. Doch die Zweifel und die Verwirrung ließen sich nicht so einfach wegpfeffern. Ich war in meinem Leben schon so oft weggelaufen, wenn ich wieder etwas Kleingeld oder ein paar neue Klamotten gestohlen hatte. Zweimal war ich sogar aus dem Heim abgehauen. Doch ich hatte es als blinder Passagier im Zug nie weiter geschafft als bis Gatwick oder Chelmsford. Ein Schaffner hatte mich jedes Mal erwischt und die Behörden verständigt.
    Ich war es ziemlich leid geworden, immer nur vor etwas oder jemandem wegzulaufen. Vielleicht konnte ich—wenn auch nur für eine kurze Weile—die Vorteile dieses hübschen Hauses genießen, ohne mir den Kopf zu zerbrechen, was der nächste Tag für mich bringen würde.
    Umgeben von all dem Grünzeug in den Weinbergen hob ich meinen Kopf und sah zum Himmel. „Was ist dein verdammter Plan für mich, heh?“ Ein paar Sekunden lang betrachtete ich die vorbeiziehenden Wolken, doch als klar war, dass es für mich keine Antwort gab, außer dass mir vielleicht ein Vogel ins Gesicht kacken würde, steckte ich die Hände in die Taschen und schleppte mich zurück zum Haus.
    In der Küche war niemand mehr, doch ich hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer. Ich erkannte Charlene an ihrem gedämpften, verzweifelten Ton. Auf gar keinen Fall wollte ich lauschen. Schließlich interessierte mich der Drache ja auch kein Stück. Doch als ich bereits die zweite Stufe der Treppe nach oben erreicht hatte, erwähnte sie plötzlich meinen Namen, und da änderte ich meine Meinung. Vielleicht sollte ich doch lieber kurz zuhören.
    Ich schlich zurück nach unten und lauschte vor der angelehnten

Weitere Kostenlose Bücher