Märchensommer (German Edition)
Wohnzimmertür.
„Sie wird ihre Meinung schon noch ändern, vertrau mir.“
Ich hatte eine unangenehme Vorahnung, was Julian damit meinte.
Meine Mutter klang den Tränen nahe, als sie antwortete: „Aber was ist, wenn sie mir niemals vergeben kann? Du siehst doch selbst, wie sehr sie mich hasst.“
Oh ja, ich lag goldrichtig mit meiner Vorahnung. Was mich allerdings überraschte, war, dass sich der Drache eher Julian anvertraute, als jemandem, der ihr doch viel näher stand, so wie Marie. Julian war schließlich nur ihr Pfleger und gehörte nicht zur Familie.
„Gib ihr einfach etwas mehr Zeit“, erwiderte Julian in dieser ruhigen Stimme, die auch ich schon öfter zu hören bekommen hatte. Zum Beispiel letzte Nacht, als er mich hinaus auf den Balkon gezogen hatte.
„Von allen hier weißt du doch am allerbesten, dass ich keine Zeit mehr habe!“
So hart es auch war, dies zuzugeben, aber der Kummer meiner Mutter schien wirklich aufrichtig zu sein. Sie so zu hören gab meinem Herz einen seltsamen Stich. Und das war nun schon der zweite innerhalb einer Stunde.
„Hab Geduld“, beschwichtigte sie Julian. „Ruh dich aus. Und spar deine Kräfte. Ich werde mich um alles Weitere kümmern.“ Dann wurde es plötzlich still im Zimmer.
Am liebsten hätte ich mich um die Ecke gelehnt, um zu sehen, was da drin vor sich ging. Doch ich durfte mich nicht verraten. Es fröstelte mich, als ich mich gegen die kalte Mauer hinter mir lehnte, zum Dach hochblickte und darauf wartete, dass einer der beiden etwas sagte.
Unharmonische Noten kamen vom Klavier, so als ob jemand im Vorbeigehen wahllos ein paar Tasten drückte. Dann räusperte sich meine Mutter. „Du hast dich verändert.“ Sie sprach viel leiser als zuvor.
Mit einem Hauch von Arroganz in der Stimme antwortete Julian: „Ach so?“
Mir war nichts an ihm aufgefallen. Er wirkte auf mich wie immer. Doch dann lag es wohl auch daran, dass ich ihn erst seit ein paar Tagen kannte. Vielleicht war die Veränderung, von der Charlene sprach, ja schleichend über die vergangenen Monate gekommen. Meine Neugier brachte mich beinahe um. Konnte dieses Weib vielleicht auch etwas präziser sein?
„Ich kenne diesen Blick“, fuhr sie endlich fort und klang dabei alles andere als freundlich. „Doch gerade du solltest wissen, dass es keine Möglichkeit für dich gibt.“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ Knapp und kalt. Oh ja, er wusste genau, wovon sie redete. Aber sollte ich es auch wissen? Was meinte sie mit Möglichkeit ? Und wer war sie überhaupt, dass sie ihn belehren wollte?
Ich versuchte meine Gedanken zu beruhigen, damit ich mehr von ihrer Unterhaltung hören konnte, als Charlene schon beinahe fauchte: „Das weißt du sehr wohl! Halt mich nicht für dumm, nur weil du so viel älter bist.“
Als wer? Als sie ? Hah, die hatte wohl heute ihre Tabletten noch nicht genommen.
Dann seufzte sie schwer. „Du kannst ihr doch niemals geben, was sie braucht. Am Ende wirst du sie nur verletzen.“
Sie? Halt mal. Über wen redeten die hier eigentlich? Ein glühend heißer Schwall von Eifersucht stieg plötzlich in mir hoch. Charlene sprach von einer anderen Frau? Kein Wunder, dass sie plötzlich so zickig wurde. Ich hatte also von Anfang an Recht gehabt. Die beiden hatten was miteinander. Oder vielleicht wünschte sich Charlene das auch nur und nun war sie eifersüchtig … so wie ich.
Aber Julian hatte mir gestern gesagt, dass es in seinem Leben keine andere Frau gab. Und meine Mutter war auch aus dem Rennen. Was also—? Verdammt! Ich wollte mir einfach nicht vorstellen, dass er ein anderes Mädchen so im Arm halten würde, wie er mich gestern gehalten hatte. Das konnte … Er durfte nicht … Ach, halt einfach die Klappe Jona.
„Ich habe nicht vor, ihr oder sonst jemandem weh zu tun“, hörte ich Julian gereizt sagen. „Du kannst also ganz beruhigt sein, Charlene. Ich kenne meinen Platz. Meine oberste Priorität bist immer noch du. Jona —“ Er setzte kurz ab und sprach dann etwas heiser weiter: „Kommt erst an zweiter Stelle.“
Die Hände über den Mund geschlagen, versuchte ich das Geräusch zu ersticken, als ich scharf nach Luft schnappte.
Jemand kam zur Tür; ich hörte die Schritte im Zimmer. Für den Moment schluckte ich meine Verwunderung hinunter und raste die Treppe hinauf. Auf halber Höhe machte ich kehrt, damit es so aussah, als käme ich gerade erst aus meinem Zimmer herunter. Niemand sollte wissen, dass ich die letzten paar Minuten gelauscht
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