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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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Miss Mulligan erlaubt hatte, bei Prinz Williams und Kates Hochzeit mit dem Volk auf der Straße zu feiern. Valentines wiederkehrende Ahs und Ohs brachten mich zum Schmunzeln und hielten mich an, mit meiner Geschichte fortzufahren.
    Von dem vielen Erzählen wurde mein Mund ganz trocken. Die kleinen dunkelblauen Weintrauben vor mir sahen verlockend aus. Ich pflückte mir eine, als keiner hersah, und schob sie schnell in den Mund.
    „Bäh!“ War die sauer! Die schmeckte ja noch grausiger als ein Apfel. Ich spuckte die kleine, halb zerkaute Frucht auf den Boden unter eine Weinrebe, vergrub sie schnell unter einem Haufen Erde und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund.
    „Es ist noch viel zu früh. Die brauchen noch ein paar Wochen bis sie süß werden.“
    Beim Klang der sanften, mit einem Schmunzeln durchzogenen Stimme hinter mir rutschte ich auf den Knien herum und blickte nach oben gegen die Sonne. Julian stand über mir. Er hatte seinen Kopf leicht geneigt, und das Lächeln, das ich gerade herausgehört hatte, erschien in seinem Gesicht. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er überhaupt in der Nähe gewesen war.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn mir zog es immer noch den Mund vom sauren Geschmack der Traube zusammen. Julian wartete auch gar nicht auf eine Antwort. Er drehte sich um und schlenderte den Pfad zwischen den Reihen von Weinstöcken hinunter. Das war alles, was ich heute an Aufmerksamkeit von ihm bekam.
    Auch an den nächsten beiden Tagen hielt er sich immer noch gezielt an den Orten auf, an denen ich gerade nicht war. Egal, wie sehr ich mich darum bemühte, in seiner Nähe zu sein. Allerdings fiel mir immer wieder mal auf, wie er mich aus der Ferne beobachtete. Wenn ich meinen Kopf hob und unsere Blicke sich über die Entfernung trafen, sah er entweder auf der Stelle weg oder er starrte mich für ein paar Sekunden einfach nur an. Nie sagte er etwas.
    Irgendwann hatte ich die Schnauze voll von seinem kindischen Verhalten. Ich beschloss ihn später in seinem Zimmer aufzusuchen und die Sache zwischen uns ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Schließlich war ja gar nichts passiert.
    Am späten Nachmittag begann es unerwartet wie aus Kübeln zu schütten. Damit waren unsere Arbeitspläne zunichte geworden und wir alle liefen zurück ins Haus. Ich hüpfte schnell unter die Dusche und zog mir anschließend ein Paar ausgewaschene Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt an, dann warf ich einen kurzen Blick raus auf den Balkon.
    Tapp-tapp-tapp. Fette Regentropfen trommelten einen romantischen Rhythmus auf dem Holzboden. Am Himmel hingen dicke graue Wolken und verfinsterten ihn, als wäre es bereits Nacht. Dabei war es noch nicht mal sieben Uhr.
    Ich schielte um die Ecke und erkannte Licht in Julians Zimmer, das durch die offene Tür auf den Balkonboden fiel. Aber von Julian war nichts zu sehen.
    „Julian?“, rief ich zaghaft, doch durch den Regen konnte er mich wohl kaum hören. Falls doch, zog er es vor, mich zu ignorieren, denn er kam nicht heraus.
    Sturer Bock! Wir mussten uns wirklich unterhalten. Und zwar jetzt gleich.
    Mit dem Rücken gegen den Türrahmen gepresst, schob ich langsam einen Fuß nach draußen. Das Holz knarrte unter meinem Gewicht. Panik überfiel mich wie ein Baseballschläger aus dem Hinterhalt. Schnell schickte ich noch ein letztes Stoßgebet nach oben.
    Dann biss ich die Zähne zusammen, schloss die Augen, atmete tief durch die Nase ein und machte einen weiteren Schritt in die Richtung von Julians Zimmer. Ich hangelte mich an der Mauer entlang, als wäre vor mir ein zweihundert Meter tiefer Abgrund. Na ja, in gewisser Weise fühlte es sich für mich ja auch so an.
    Es wäre wohl leichter gewesen, einfach über den Flur zu laufen und an Julians Tür zu klopfen, doch irgendwie schien es wichtig zu sein, ihn auf diesem Weg zu erreichen. So als würde ich mich mit dieser Mutprobe vor ihm beweisen. Dann musste er doch endlich wieder mit mir reden.
    Als ich mich Zentimeter für Zentimeter vorwärts kämpfte, verfing sich mein Haar an dem rauen Verputz der Mauer. Das ziepte ganz schön. Aber es hielt mich nicht zurück. Durch die dünnen Spalte zwischen den Bodenlatten konnte ich den Kiesweg rund ums Haus erkennen. Wenn diese klapprige Illusion eines Balkons unter mir zusammenbrach, würde ich unweigerlich in den Tod stürzen.
    Was für tolle Aussichten.
    „Julian“, jammerte ich. Doch als ich meinen Kopf nach links drehte, verhöhnte mich seine leere Tür aus meilenweiter

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