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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Katmore
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Entfernung. „Bitte Herr, lass mich das überleben.“ Ich versuchte, meine Angst hinunterzuschlucken und machte einen weiteren Schritt nach links. Und noch einen.
    Durch den dicken Regenvorhang erkannte ich in einiger Entfernung einen kleinen schwarzen Ball, der sehr schnell auf mich zuschoss und dabei immer größer wurde. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Was war das? Da flatterte plötzlich ein fetter Rabe unter das schützende Dach und landete auf dem Geländer vor mir. Ich schrie laut auf vor Schreck und schlug die Arme über den Kopf.
    „Herrgott noch mal! Du dämliches Vieh!“ Ich musste ein paar Mal tief einatmen, bevor ich die Arme wieder runternehmen konnte. Mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub.
    Der verdammte Vogel drehte nur seinen Kopf zur Seite, sodass er mich mit seinem Teufelsauge anstieren konnte, und plusterte dabei sein nasses Gefieder auf. Mit heiseren Lauten versuchte ich, den Raben zu verscheuchen, was mir letztendlich auch gelang. Er breitete seine Flügel aus und flatterte wild davon, was mich erneut zusammenzucken ließ.
    Für einen kurzen Moment kniff ich die Augen zu. Dabei stellte ich mir vor, wie Julian gerade sicher und vergnügt ausgestreckt auf seinem Bett lag, während ich hier durch meine persönliche Hölle ging. „Ich hoffe nur, du weißt, was ich hier für dich riskiere“, meckerte ich leise und konzentrierte mich wieder auf das Ende meines Weges.
    Und da stand er plötzlich wie ein schwarzer Ritter in einem Zirkel aus sanftem Licht.
    In dunkelgraue Skater-Hosen und einen noch dunkleren Sweater gekleidet, lehnte er mit einer Schulter gegen den Rahmen seiner Balkontür. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und seine Augen standen vor Verwunderung weit offen.
    „Hi“, sagte ich. Ein erleichtertes Lächeln kam mir dabei über die Lippen. Mein Herz klopfte zwar immer noch viel zu schnell, doch nicht mehr aus Panik vor einem Absturz, sondern aus Freude ihn zu sehen. Gleich würde er rüberkommen und mich holen und alles wäre gut.
    Aber Julian bewegte sich nicht. Er beobachtete nur jede meiner Bewegungen, was im Moment nicht gerade besonders viele waren. Beinahe hätte er mich ein verzweifeltes Lachen gekostet.
    „Was um alles in der Welt machst du hier?“, fragte er schließlich und betonte dabei jedes einzelne Wort.
    „Ich komme. Reden.“ Leider war gerade nicht genug Luft in meiner Lunge für eine ausführlichere Antwort.
    „Es gibt auch einen einfacheren Weg in mein Zimmer.“
    „Ich weiß.“
    Eine seiner blonden Augenbrauen wölbte sich nach oben. „Warum hast du ihn dann nicht benutzt?“
    Fragen, Fragen! Sah er denn nicht, wie verzweifelt ich ohnehin schon war? „Ich weiß es nicht, okay?“
    „Möchtest du reinkommen?“ Er machte eine einladende Geste mit seinem Arm.
    „Mm-hm.“ Oh bitte, musste ich auf meine Knie fallen und um seine Hilfe betteln? Das konnte er haben. Meine weichen Knie würden sowieso nicht mehr lange durchhalten.
    Endlich machte Julian einen Schritt auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen. Es kostete mich eine unglaubliche Überwindung, die Mauer hinter mir loszulassen und meine zitternde Hand stattdessen in seine zu legen.
    Sofort durchflutete mich ein Gefühl der Stärke und des Selbstvertrauens, das ich noch vor wenigen Sekunden nirgends in mir hatte finden können. Julian zog mich in seine schützenden Arme und sah auf mich herab. Seine beiden Hände lagen fest auf meinem Rücken. Nur wenige Zentimeter trennten sein Gesicht von meinem. Ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren und sehen, wie sich das Licht von drinnen in seinen dunklen Augen spiegelte.
    Einen Moment später schob er mich durch die Tür in sein Zimmer.

16.   In Julians Zimmer
     
     
    LEISE MUSIK VON OneRepublic tönte aus Julians iPod. Meine Stiefel standen verlassen auf dem Steinfliesenboden vor seinem Bett, auf dem ich gerade saß und meine Arme um meine angezogenen Beine schlang. Sein Bett war beinahe doppelt so groß wie meins und stand mit dem Kopfende an der Wand. Der Rest ragte in den Raum mit Blick auf eine kleine Couch an der gegenüberliegenden Wand gleich neben der Badezimmertür. Die kleine Lampe auf seinem Nachttisch tauchte den Raum in weiches, gedämpftes Licht. Vor dem Fenster, das zum Balkon hinausführte, stand ein heller Schreibtisch so wie meiner. Julian lehnte sich gerade dagegen und stützte sich mit beiden Hände auf die Kante.
    Ich legte meine Wange auf meine Knie und sah zu, wie hinter ihm dicke, schwere Tropfen

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