Märchensommer (German Edition)
still geworden waren und ich bereits den Klang seiner Stimme vermisste, ließ ich mir eine andere Frage einfallen. „Was hast du gemacht, bevor du dem Verein beigetreten bist?“
Julian räusperte sich. „Das Übliche.“
Und das war bitteschön was? „So wie Schule und College und so Zeug?“
„Und so Zeug. Genau.“
Irrte ich mich oder versuchte er gerade mich in meinem Frage- und Antwortspiel aufzuhalten? Es nervte, wo ich doch so gerne mehr über ihn erfahren wollte. „Wie alt bist du eigentlich?“
„Was schätzt du?“
„Hmm.“ Ich betrachtete sein Gesicht ganz genau. „Einundzwanzig?“
Julian hielt meinen Blick für ein paar Sekunden, dann blitzte ein verwegenes Grinsen auf. „Gut geraten.“
Das war dann wohl ein Ja . Ich legte meine Wange wieder auf seine Brust und sein Arm schlang sich etwas fester um meine Schultern. Das fühlte sich wunderbar an. „Gab es in deinem Leben je einen Moment, in dem du absolut und rundum glücklich warst? Wo du einfach nicht daran gedacht hast, was morgen auf dich zukommt?“
„Sogar viele“, antwortete Julian. „Was ist mit dir? Hattest du je so einen Moment?“
Abgesehen von jetzt gerade? „Ja. Einen.“ Das Geräusch von Wellen, die an den Strand rollten, holte mich ein. Ich rieb meine Füße leicht aneinander bei der Erinnerung daran, wie ich damals barfuß durch den Sand gelaufen war. Der Wind, der mir das Haar ums Gesicht geweht hatte, trug den Schrei einer Möwe mit sich, die hoch über meinem Kopf hinweg gesegelt war.
Wie das Echo der Wellen brach Julians Flüstern durch meine Gedanken. „Möchtest du mir davon erzählen?“
„Es war, als ich zum ersten Mal aufs offene Meer hinaussah. So unendlich weit.“ Ich seufzte leise. „Miss Mulligan hatte uns einmal mit an den Strand von Brighton genommen.“
„Die Heimleiterin?“, fragte Julian nicht viel lauter als vorhin.
„Ja. Die mit dem Mausgesicht. Sie war letzte Woche bei der Anhörung.“
„Tja, ich hab mich wohl weniger auf sie konzentriert als auf dich.“
„Ach, ist das so?“
„Ist so.“ Julian lachte. „Dein Kampf mit den Wachmännern war sehr unterhaltsam.“
„Ja, die Bullen hab ich ganz gut im Griff“, erwiderte ich mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Es sind die Handschellen, die mich immer etwas irritieren.“
Er zerraufte mein Haar mit sanften Fingern. „Du hast nicht gerade glücklich ausgesehen, als ich dich von den Handschellen befreit hab“, gab er scherzhaft zu bedenken. Dann legte er seinen Arm wieder um mich.
Ich tauchte in eine rosa Wolke aus Erinnerung an ihn, mich und die Schlüssel für die Handschellen. „Es war ganz schön leichtsinnig von dir, mich da im Korridor ganz allein zu lassen. Ich hätte ohne Probleme abhauen können.“
„Bist du aber nicht.“
„Ich hab aber mit dem Gedanken gespielt. Und dann hätte Quinn dir die Hölle heiß gemacht.“
„Du hättest mich nicht in Schwierigkeiten gebracht.“
„Warum bist du dir da so sicher?“
„Weil ich dir unsichtbare Fesseln auferlegt hatte.“
Ja, so hatte es sich damals auch angefühlt. „Was meinst du damit?“
„Vertrauen ist eine mächtige Waffe, Jona. Besonders bei einem verschreckten Kätzchen wie dir.“
Kätzchen? Bei dem Wort musste ich lächeln. Ich neigte meinen Kopf etwas tiefer und hoffte, dass Julian es nicht sah. „Du denkst, mein schlechtes Gewissen hätte mich zurückgehalten?“
„Was sonst?“
Ich zuckte mit der Schulter, auf der Julians Hand lag, und er drückte mich ein klein wenig fester.
„Siehst du? Ich hatte Recht“, sagte er mit einem heiteren Ton. „Und außerdem wolltest du mich ja auch unbedingt wiedersehen.“
„Wie bitte?!“ Ich lachte laut auf und drehte mich wieder so, dass ich ihn ansehen konnte. Mein Kinn bohrte sich dabei zwischen seine Rippen. „Ich glaube, du spinnst wohl!“
Julian war an der Stelle wohl kitzlig, denn er zuckte unter mir und kicherte. „Lass das!“ Er schob seine Finger sanft unter mein Kinn und drehte meinen Kopf zurück zur Seite. „Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass du immer noch da warst, als ich zurückgekommen bin.“
Hmm. Irgendwie war ich das in diesem Moment auch. Ich ließ mich von seinem angenehmen Duft hypnotisieren und lauschte eine Weile nur dem Schlagen seines Herzens. Die Minuten verstrichen und mir war plötzlich gar nicht mehr nach Geheimnislüfterei oder nach Reden überhaupt. Langsam verfiel ich in einen traumartigen Zustand, und als Julian dann auch noch begann, mit seinen
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