Märchenwald Mörderwald
fuhr. Nach wie vor hatte sie das Gefühl, aus einem Traum nicht richtig erwacht zu sein und weiterhin in ihm zu stecken.
Sie öffnete den Mund und flüsterte den Namen ihrer Tochter. Es war niemand da, der sie hörte. Zudem fühlte sie sich wie aus dem normalen Leben herausgerissen, denn sie hatte etwas gesehen, das sie nur als Phänomen bezeichnen konnte.
Aber seit dem vergangenen Tag war alles in ihrem Leben und dem ihres Mannes zu einem Phänomen geworden, denn ihr fehlten einige Stunden aus der Nacht.
Erst als sie die Echos der Tritte vernahm, erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Umdrehen kam ihr nicht in den Sinn. Dafür hielt sie sich an der Fensterbank fest und wandte sich erst um, als sie die Stimme ihres Mannes vernahm.
»Marisa...«
Etwas störte sie an der Stimme. Dann hatte sie die Drehung geschafft und schaute ihren Mann an.
Er war nackt, und er sah aus, als wäre die Welt über ihm zusammengebrochen. Das hatte seinen Grund, denn sein Körper sah aus, als wäre er mit einer blassen grünen Farbe bestrichen worden...
***
Es gab keine Erklärung für sie. Stundenlang diskutierten sie über das Thema. Die veränderte Haut, das Erscheinen ihrer Tochter und ihr plötzliches Verschwinden.
Keiner zweifelte die Angaben des anderen an. Auch bei einer Dusche war die Farbe nicht verschwunden. Er behielt sie auf seiner Haut und traute sich kaum, in den Spiegel zu schauen.
Sie hatten über ihre Tochter gesprochen und über sich selbst. Die Themen waren Flucht und Bleiben gewesen. Sie waren auch nicht ans Telefon gegangen. Zum Glück lag kein Termin an, den der Förster hätte wahrnehmen müssen, und so verbrachten sie die Zeit im Haus, wobei sie immer wieder nach draußen schauten und auf ein weiteres Phänomen aufmerksam wurden.
Es ging dabei um ihren Hund. Ricky streunte herum, was er sonst kaum tat. Er war mal verschwunden, tauchte dann später wieder auf, aber er kam nicht ins Haus.
Die Zeit verstrich. Hin und wieder saßen Marisa und Peter dicht beisammen und hielten sich an den Händen fest. Peter wurde oft besorgt gefragt, wie es ihm ging.
Er konnte nicht klagen. Körperlich war alles okay. Zwar fühlte er sich etwas matt, aber das war auch bei seiner Frau der Fall. Sie schoben es auf ihre Erlebnisse.
Beide jedoch spürten die innerliche Furcht vor der vergehenden Zeit. Dem Tag folgte die Nacht, und sie fragten sich, was bei Einbruch der Dunkelheit geschehen würde.
»Wir müssen es abwarten.« Mehr wussten beide nicht zu sagen. Sich in den Wagen zu setzen und zu fliehen, daran dachten sie nicht.
Schließlich bezog sich der Himmel. Es waren noch nicht die Abendwolken. Der Wetterumschwung meldete sich an. Die Wolken nahmen an Dichte zu. Die Sonne verschwand in irgendwelchen Fernen und schien von mächtigen Geistern verschluckt zu werden. Erste Tropfen fielen, die sich zu einem heftigen Schauer verdichteten.
Peter Benson stand auf und ging zu seinem Waffenschrank, aus dem er das Gewehr holte. Er brachte auch seine Jacke mit, die er überstreifen wollte.
Marisa schaute ihn erstaunt an. »Willst du weg?«
»Nein, nicht jetzt. Später sehr wohl. Ich weiß, dass es uns treffen wird, Marisa.«
»Wie gestern Nacht?«
»Ja. Erinnerst du dich denn?«
Sie überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Bei mir ist alles wie ausgelöscht. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt im Wald gewesen sind, aber ich habe mir deine Schuhe angeschaut. Sie sahen entsprechend aus.«
»Wir müssen es hinnehmen.«
Marisa lächelte und strich über die linke Wange ihres Mannes. Obwohl die Haut eine andere Farbe hatte, fühlte sie sich normal an. Auch die vergangenen Stunden waren auf eine gewisse Art und Weise normal verlaufen. Sie hatten die Zeit zumindest nachvollziehen können, doch sie gingen weiterhin davon aus, dass etwas passieren würde und sie entsprechend gerüstet sein mussten.
Der Regen ließ nach und hörte schließlich ganz auf.
»Ich halte es nicht mehr aus!«, sagte Peter plötzlich. »Nicht mehr hier im Haus!«
»Wo willst du denn hin?«
»Ich muss nach draußen !«
Marisa erschrak. »In den Wald?«
»Nein. Nur vor die Tür.«
»Und was willst du dort?«
»Ich muss es spüren. Ich will nichts mehr zwischen mir und dem Wald wissen. Verstehst du?«
Die Frau begriff es nicht, aber sie schaute ihren Mann skeptisch an und nickte dazu.
»Es ist schon okay«, flüsterte sie. »Es ist alles okay. Ich denke ebenfalls so.«
»Danke.«
Sie brauchten nicht mehr zu diskutieren. Ihr Weg war jetzt
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