Mafiatod
Wenn ich die Wahrheit sagte, war es mir besser ergangen.
Am folgenden Morgen bezahlten wir das Zimmer und fuhren die fünfundzwanzig Kilometer nach Dannemora.
Dannemora ist ein kleiner Ort, dem man es in weiten Teilen nicht ansieht, dass es hier ein Zuchthaus gibt. Dazu ist das Städtchen weder schmutzig noch hässlich genug. Aber das Gefängnis ist da, hinter einer hohen Mauer neben dem Bürgersteig. Der Bürgersteig ist auf dieser Seite rissig und voller Frostaufbrüche. Auf der anderen Seite ist es besser, und dort gibt es ein halbes Dutzend Bars mit Neonreklamen, die für einheimische und in ganz Amerika getrunkene Biere wie Budweiser und Genesee warben. Bill trank Budweiser, und ich nahm ein Genesee. Beides schmeckte wie Bier.
Die Bar war dunkel, aber in lackiertem hellem Holz gehalten, und sie war im Verhältnis zur Tiefe viel zu breit. Man hatte das Gefühl, das Lokal wäre in Wirklichkeit gar nicht dunkel, sondern man selbst würde allmählich blind. Der Barkeeper war ein untersetzter, breiter Mann mit schwarzem Schnurrbart. Außer uns waren noch zwei andere Gäste da, die rot-schwarze Jagdröcke und hohe Lederstiefel trugen. Es waren Einheimische, die Scotch der Hausmarke mit Canada Dry Ginger Ale tranken.
In der Post stand, dass Eddie Kapp ab mittags ein freier Mann sein werde; aber wir konnten da nicht sicher sein. Wir saßen in dieser Bar ab kurz vor zehn auf Barhockern, von denen aus wir die Metalltür in der gegenüberliegenden Mauer im Auge behalten konnten. Ich wusste nicht genau, ob ich Eddie Kapp erkennen würde. Das unscharfe Bild in der Post war vor fünfundzwanzig Jahren aufgenommen worden, und jetzt war er einundsechzig. Und wie viele Häftlinge mochten am selben Tag entlassen werden?
Wir saßen dort und tranken unser Bier. Ich trug das Hemd über der Hose, und wenn ich mich mit aufgestützten Armen vorlehnte, bohrte sich der Kolben von Smittys Revolver in meine untersten Rippen. Bill hatte das gleiche Problem mit der Luger.
Um halb zwölf hielt ein bräunlich elfenbeinfarbener Chrysler vor der Bar. Bill betrachtete ihn, wandte den Kopf zu mir und fragte: »Sind sie das? Sind das die Kerle, die Dad getötet haben?«
Ich blieb stumm. Ich ließ den Blick nicht von dem Mann auf dem Beifahrersitz. Ich erkannte ihn.
Ich wollte vom Hocker hinunterrutschen, wobei ich mein Hemd wegschob, aber Bill packte mich am Ellenbogen und zischte mir zu: »Mach keinen Quatsch. Warte, bis Kapp kommt.«
Ich rührte mich nicht. Der Kolben des Revolvers fühlte sich sonderbar in meiner Hand an. Die Seite, die meine Haut berührt hatte, war heiß und feucht, die andere kalt und trocken.
Schließlich sagte ich: »Gut. Du hast recht.« Er ließ mich los, und ich stieß hervor: »Ich komme gleich wieder.« Ich nahm die Hand von der Waffe, strich das Hemd glatt und durchquerte das Lokal, vorbei an den beiden anderen Gästen, die sich mit dem Barkeeper über Forellenfang unterhielten. Ich ging auf die Toilette. Es gab nur eine Kabine. Ich ging hinein, verriegelte die Tür und nahm die Knarre aus dem Bund, damit ich mich nach vorn beugen konnte. Dann übergab ich mich in die Toilette. Als es überstanden war, spülte ich mir den Mund aus und schaffte es gerade noch zurück in die Kabine, wo ich mich erneut übergab. Ich wartete einen Moment und spülte mir dann noch einmal den Mund aus. Über dem Waschbecken war ein unebener, schmutziger Spiegel, in dem ich mich erblickte. Ich sah blass, jung und unreif aus. Der Revolver war kalt an meinem unbehaarten Bauch. Ich war ein Bastard und ein schlechter Sohn.
Ich kehrte zurück, setzte mich auf den Barhocker und hielt mein Glas in der Hand, ohne zu trinken. Bill sagte: »Nichts Neues.« Ich antwortete nicht.
Nach einer Weile wurde ich ganz plötzlich von einem unglaublichen Hunger erfasst. Ich wartete, doch kurz vor ein Uhr fragte ich den Barkeeper, was für Sandwiches er habe; worauf er erklärte, es gebe hier einen Apparat, der in einer halben Minute Hamburger hervorzauberte. Ich bestellte zwei, Bill wollte nur einen. Der Apparat, ein verchromter Infrarotgrill, stand am anderen Ende des Tresens.
Gerade hatte ich den zweiten Hamburger zur Hälfte verspeist, da wurde die Tür auf der gegenüberliegenden Straßenseite geöffnet und ein alter Mann ohne Hut kam heraus.
Sein Anzug wirkte sogar aus dieser Entfernung elegant und ganz modern. Vom Staat hatte der Mann ihn nicht erhalten. Der graue Anzug stand ihm gut. Seine schwarzen Schuhe glänzten in der Sonne. Sein Haar
Weitere Kostenlose Bücher