Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Nacht von einer Reise dorthin träumte.
Überall, wo sich Licht zeigte, lief Lukas hin. In der Weihnachtszeit begrüßte er jede Kerze, die Konrad anzündete. «Oooo!» In unserem bescheidenen Haushalt waren sie rar, oftmals nur «Stümpli», an denen Konrad, zur Freude seines Sohnes, mit Hingabe so lange herumzündelte, bis auch der letzte Wachsrest verbrannt war.
Am Waschtag folgte mir Lukas in den Keller. Eine halbe Stunde oder länger konnte er vor der Waschmaschine stehen, sein Kopf reichte gerade bis zu der Tafel mit der beleuchteten Schrift: LAVAMAT. «Schau, das Dächle. Das ist ein A», zeigte ich ihm, «und da ist noch eins, und da noch eins.» Das Wort mit den drei Dächle war das erste, das Lukas später lesen konnte.
Quietschend vor Vergnügen stellte er sich in Sonnenflecken, die er auf dem Wohnzimmerboden oder sonst wo entdeckte, manchmal drehte er sich darin wie ein tanzender Derwisch. Oder er fing die Sonne mit den Händen, griff hinein und machte dann die Faust zu und wieder auf und wieder zu.
Immer neue Lichtspiele kamen auf. Ein besonders aufregendes erfand Konrad, als ihn der Bub, während ich in Zell einkaufen war, mal beim Heftekorrigieren störte. Er schraubte zwei Tintenflaschen fest zu, eine mit roter und eine mit blauer Tinte, und hielt sie unter die Lampe. Lukas begriff sofort. Die Farben im Licht zu beobachten, das schwappende, leicht schaukelnde Funkeln, wurde eine seiner liebsten Beschäftigungen.
Je verständiger er wurde, desto mehr fand Konrad Zugang und auch körperliche Nähe zu seinem Sohn. Zärtlichkeiten austauschen lag ihm bekanntlich nicht, aber sie machten «Unsduns» miteinander. Turnübungen auf einer Steppdecke, Po nach oben recken, kugeln, auf allen vieren unterm Vater durchkriechen, Häschen hüpf. Ganz langsam, immer im Nahbereich. Einen Ball auf zwei, drei Meter Entfernung konnte Lukas auch jetzt nicht sehen.
«Papa, pferdle mich!»
«Iiiiihh!» Mit lautem Wiehern beugte sich Konrad hinunter, schnaubte und ließ den kleinen Reiter auf seine Schultern steigen.
Die beiden wurden und wurden nicht müde. Im Flur konnte ich, wenn ich gegen Abend vom Einkaufen zurückkam, manchmal schon riechen, dass Lukas die Hosen voll hatte. Wickeln konnte und mochte Konrad nicht, mit altmodischer Strenge hielt er an der Arbeitsteilung der Geschlechter fest. Trotz des Gestanks balgten Vater und Sohn einfach ungerührt weiter.
Vor dem Schlafengehen kriegte der Kleine seine Augentropfen. Um besser tropfen zu können, nahm Konrad für die Prozedur eine Taschenlampe. Damit durfte Lukas zur Belohnung vorher und nachher ein wenig hantieren, Lichtkegel auf der Wand tanzen lassen. Einmal war sie ziemlich matt, und Konrad erklärte, dass die Batterie leider schwach wäre und, so kindgemäß es eben ging, was eine Batterie ist. In diesem Monat, im März, um St. Josef herum, fuhren wir zu dritt mit dem Auto nach Lörrach. Es war ein verhangener, später Wintermorgen. «Die Sonne hat auch keine richtigen Batterinen mehr», sagte Lukas.
Sein dritter Aufenthalt im «Blauen Blick». Die «cataracta secundaria», der Nachstar, eine neuerliche Trübung der Linse, wurde operiert. Es misslang, auf dem rechten Auge wurde es finster.
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Frostige Zeiten
Immer wieder im Laufe meines Lebens war ich überwältigt von Schuldgefühlen meinem Kind gegenüber. Ich habe mir erlaubt, ein Kind zu bekommen, denn ich wollte so sehr eines, mein Leben wäre sonst nicht vollständig gewesen. «Durfte ich das?», habe ich an dunklen Tagen manchmal zu Konrad gesagt. «Lass das! Ist doch Mist, was du da redest.» Ihm ist mein Schuldgefühl unverständlich, und auch mein diesbezüglicher Zorn auf die Kirche.
Ein Beichtvater kann mich doch nicht auffordern, mich sterilisieren zu lassen! Lukas war gerade zwei Jahre alt. Konrad und ich waren glücklich über unseren sonnigen, begabten, robusten Buben. Wie konnte ich Lukas sagen, ich hab dich lieb, und zugleich: Solche wie du sind in der Welt nicht willkommen, nicht einmal in der Kirche? Bei der katholischen Kirche hatte ich keine Hilfe. Im Gegenteil, dieser Geistliche, bei dem ich damals, während eines Besuches bei meinen Eltern in Freiburg, Rat suchte, hat mein junges Leben total entmutigt. Der ehrwürdige, ältere Herr, der von der Kanzel predigte, Kinder zu verhüten sei Sünde, hat mich beschworen, genau dies zu tun. Kann das wahr sein? Nachdem er mich von meinen Sünden losgesprochen hatte, bin ich halb ohnmächtig aus dem Beichtstuhl
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