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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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letzten Anhöhe vor Tonberg zeigte sie sich groß und rot! In späteren Jahren hat Lukas vom Beifahrersitz aus den Blinker bedienen dürfen, der praktischerweise am Lenkrad eingebaut war. Den «Zipp». Sehr geschickt hat Konrad mit ihm Verkehrsunterricht gemacht. Wo geht es rechts, wo geht es links? «Zipp.» Lukas sollte sich die Strecke einprägen, wo und wann muss man zippen, wo nicht, weil man auf der Vorfahrtsstraße bleibt.
    Lukas war auch ein wackerer Spaziergänger. Er mit seinen nicht einmal drei Jahren und ich, inzwischen mit der Topographie hinreichend vertraut, durchstreiften bei gutem Wetter die Umgebung. Zwei, drei Kilometer mitunter, der weiteste Weg führte zum Forsthaus. Sobald wir die Wiesen verließen, stimmte Lukas «Ein Mannlein steht im Walde» an. «Mannlein» sang er, und ich mit. Unterwegs haben wir Wintervorräte gesammelt, kleine Holzspäne zum Feuermachen. Oder Tannenzapfen, das tat Lukas mit großer Begeisterung. Damit wir uns voneinander nicht zu weit entfernten, riefen wir in kleinen Abständen:
    «Mannlein!»
    «Mama!»
    «Mannlein!»
    Wir krochen auf dem weichen Waldboden umher, jeder türmte seine Beute zu einem Haufen.
    «Ich hab die meisten!»
    «Nein, ich!»
    Für den Transport nahmen wir den Kinderwagen mit, unser Prunkstück, mit den modernen großen Rädern und der am Berg unerlässlichen festen Bremse. Zapfen gab es unendlich viele in diesem Herbst 1965. Galina hatte prophezeit, der Frost würde früh und plötzlich kommen, und mir noch einige Ratschläge erteilt, wie ich Gemüse einmieten könne. Lukas half mir dabei. Inzwischen war er von unserer Gartenleidenschaft angesteckt, und nach der Erntedankfeier in der Kirche hatte er begriffen, dass fürs Gedeihen auch der Himmel zuständig ist. «Lieber Gott», betete er, «lass unsere Tomaten nicht erfrieren. Auf den Salat musst du nicht aufpassen, den haben wir schon gesse.»
    Anfang Dezember hatte der «hintere Wind», wie die Hiesigen den Ostwind nannten, enorme Mengen von Schnee aufs Schulhaus geblasen und unter die Biberschwanzziegel gedrückt. Gegen diesen Eismantel konnten wir drinnen trotz der neun Öfen kaum anheizen. Konrad war der Erste von uns, den es niederwarf. Beim Heruntertragen der Kinderbadewanne holte er sich eine Erkältung, die sich zu einer fiebrigen Bronchitis auswuchs. Wie viele Schwarzwälder Armeleutekinder war Konrad schwach auf der Lunge, tuberkulosegefährdet.
    Bis auf weiteres war die Schule geschlossen. Konrad krank. Lukas krank. Ich krank. Um zwischendurch etwas Ruhe zu haben, verhängten wir den Durchgang zwischen unserem und Lukas’ Schlafzimmer mit einem Tuch, davor die Chaiselongue als Barriere. «Damit die Bazillen von Papa nicht durchkommen», haben wir ihm gesagt. Er lag am längsten von uns – während Konrad und ich mit wackligen Knien schon wieder unserer Arbeit nachgingen, kam Lukas nicht hoch. «Wir können hier oben nicht mehr weitermachen», meinte Konrad.
    Lukas verging vor Langeweile. Aus lauter Not hab ich ihm die Organetta gebracht, ein kleines Tischinstrument mit Gebläse, das Konrad, weil er kein Held im Singen war, mal gekauft hatte, um den Schülern wenigstens ein paar Liedle andeuten zu können. Zunächst klopfte der kleine Patient lustlos darauf herum. Patsch, patsch. Bald merkte er, wenn man eine Taste auslässt, das klingt gut, zwischendrin mal eine schwarze Taste drücken, auch nicht schlecht. So langsam baute er sich Tonfolgen, ganze Melodien zusammen. Im Frühjahr, bei den nächsten Gottesdiensten, verfolgte er aufmerksam die Orgel. Jedes Mal brachte er ein Lied mit nach Hause. «Ihr Freunde Gottes allzugleich» war eines. Die ganze Woche hat er es probiert, auf seinem «Organettele» herumgeruckelt. Jeden Sonntag hat er ein neues Lied aufgeschnappt, geprobt. Schließlich fing er an zu harmonisieren, bis er es dreistimmig konnte, dass es fast schon geklungen hat wie in der Kirche.
    «Es wird Zeit, Magdalena.» Konrad drängte.
    «Und wohin?»
    Lukas zuliebe mussten wir fort, er sollte in den Kindergarten, Spielgefährten haben, und bald würde er noch mehr brauchen. Außerdem ging schon länger das Gespenst der Schulschließung um, über kurz oder lang würde unsere Schule geschlossen. Einmannbetriebe wie Tonberg wären zuerst dran, glaubten wir. Darin allerdings haben wir uns getäuscht, es war umgekehrt, viele größere Schulen verschwanden eher. Um eine Schwarzwälder Zwergschule dichtzumachen, musste man nämlich zuerst geteerte Straßen bis in die letzten Weiler

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