Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Freiburger wollen es bis heute nicht glauben: Es waren deutsche Flugzeuge, vom Fliegerhorst Landsberg am Lech, welche Dijon angreifen sollten und sich unterwegs verirrten, die Stadt unter sich für eine französische hielten. 69 Bomben warfen sie ab und töteten 24 Zivilisten, was die Propaganda seinerzeit vertuschte. Ich erinnere mich dunkel an Hitlers Rede im Radio, in der Winston Churchill vorkam, er hätte das friedliche Freiburg angegriffen. Bis heute spuckt die Erde Beweise aus. Neulich noch schrieb die «Badische Zeitung», bei Bauarbeiten sei ein Blindgänger von 1940 gefunden worden, mit deutscher Produktionskennzeichnung.
«Blindgänger», auch so eine Schöpfung der Kriegssprache, die mir damals Rätsel aufgab. Unverständlich wie vieles, er beschäftigte meine Phantasie. Das Wort steht für einen ganz bestimmten Tag, für eine der wenigen innigen Begegnungen mit meinem Vater – aber bis dahin geschahen erst einmal noch einige andere Dinge.
«Magdalena ist der Russki!» Anfangs hatte ich in den Kriegsspielen die Rolle, die sonst keiner haben wollte. Der Ruski, der gefangen genommen oder erschossen wurde, von allen Feinden der mieseste, in der Wertschätzung kam er nach dem Franzos, dem Tommie, dem käsfressenden Holländer und noch weit hinter dem Polacken. Natürlich kränkte mich das. Nur, was sollte ich dagegen tun? Wenn ich bei den Buben mitspielen wollte, war dies Bedingung. «Gut, ich mach den Russki. Hurrääääää!» Irgendwann, ohne mein Zutun, wurde ich davon befreit.
Der Krieg selbst kam mir zu Hilfe, mit der «Verdunkelung», die vielen Kindern Angst machte. Ich war die Einzige, der das nichts ausmachte, weil ich durch mein schlechtes Sehen schon immer gut im Dunkeln zurechtkam. Ich konnte am Geräusch sofort erkennen, aus welcher Richtung sie kamen, niemand hörte das Flugzeugbrummen früher, Bomber, Tiefflieger, Armeelastwagen, was auch immer sich auf dem Landweg oder Luftweg näherte. Das imponierte den anderen, verschaffte mir Ansehen. Mit meinem kleinen Bruder konnte ich manchen Handel eingehen. Für einmal nachts zum Klo auf dem finstern Hof bringen musste Peter die Fußkratzer am Hauseingang reinigen oder Mutter den Tisch decken helfen, Arbeiten, die mir nicht gefielen. Ich hab den kleinen Kerl ausgenutzt, nun hatte ich einen Diener.
Wir spielten weiterhin mit Leidenschaft Krieg, Straße gegen Straße. Ich hatte mir einen eigenen Wirkungsbereich erobert: Entweder war ich die Versorgungsbasis oder der Funker oder das Rote Kreuz. Nie mehr war ich «der Russki».
Dabei interessierte mich alles Russische brennend. Mir gefiel der starke, beißende Geruch von Machorka, der die russischen Arbeiter umwehte, die in Freiburg viele Bunker bauten. Man begegnete ihnen auf Schritt und Tritt. Von diesen selbstgedrehten Zigaretten hatte auch Vater geschrieben, die Russen würden den Machorka in Zeitungspapier einwickeln, und wenn keines mehr vorhanden sei, in feste Blätter, alles und jedes würden sie verwerten. «Magdalena, wenn du wüsstest, was die Russen können!» Mein Vater Johann Eglin, der so ungern ein Handwerker geworden war, bewunderte ihre praktischen Talente, und er war beeindruckt von der Weite des Landes. «In Russland kann man sich verlaufen.» Der Zug fährt eine halbe Ewigkeit, bis er die nächste Stadt erreicht, berichtete er. Auch die Dörfer sind weit voneinander entfernt, wenige nur gibt es im Vergleich zu unserer süddeutschen Heimat, Punkte nur in den endlos sich ausdehnenden Feldern und Wäldern.
«Erzähl mir von Russland!» Wenn Vater auf Fronturlaub war, durfte ich ihn ausfragen, bei diesem Thema war er ausnahmsweise geduldig. Er erklärte mir, was eine Banja ist, ein Badehaus nämlich, und was ein Birkenbesen, mit dem die Männer beim Schwitzen einander schlagen. Banja und Petschka, der gemauerte, weiß getünchte Ofen, auf dem man liegen konnte, seien die beiden wichtigsten Erfindungen der Russen gegen die Kälte.
«Und wie sind die Sommer da?»
«Mückig! Ganze Schwärme, um dich herum ist es schwarz von Mücken. Wenn man viel draußen schaffen muss, ist das nicht immer lustig. Und der Himmel hell, das ist praktisch. Du kannst an Mitternacht spazieren gehen.»
«Was wächst dort?»
«Die Russen haben Gurken auf Riesenfeldern. Über die zwei Gurkenstöcke bei uns im Garten würden sie lachen. Und sie essen die Gurken wie Äpfel.»
«Einfach reinbeißen?»
Seitdem hab ich Mutters sämtliche Gurken angebissen. «Jetzt bin ich ä Russ und iss e Gurk.» Nach
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