Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
Vom Netzwerk:
dass alle vor mir auf der Hut waren. «Pssst, das Kind!» Ständig bekam ich Vorträge darüber, dass Horchen eine schlimme, unanständige Sache sei. «Horchen ist bös.»

[zur Inhaltsübersicht]
    März
    Clematis schneiden, das kann ich noch. Das ist und bleibt meine Domäne, dafür hat Konrad nicht die richtigen Hände. Man muss sehr vorsichtig sein mit den dünnen Reisern, sie brechen leicht. Sie fühlen sich wie totes Holz an, manche davon sind auch wirklich tot, die muss ich ausfindig machen und entfernen. Welche haben Austriebe? Es ist schön, die zarten Spitzen zu fühlen. Einen Zentimeter oberhalb setze ich die Schere an, schnipp. Erst in der letzten Phase des Sehens habe ich die Clematis schätzen gelernt, ihrer leuchtenden Farben wegen und weil ich, ohne mich zu bücken, mit dem Auge ganz nahe an die Blüten rankomme.
    Vom Haldenberg weht ein kleiner kühler Wind herüber. Hin und wieder lege ich die Schere beiseite und horche auf mein Herz. Schlägt es? Es schlägt! Die kleinste Anstrengung, hat der Arzt gesagt, kann für mich sein «wie den Mount Everest erklimmen». Konrad stiefelt an mir vorbei, vom Komposthaufen zum Frühbeet, bis in die Reben und zurück, mal ist er hinterm Hasenstall zugange. Hier und da liest er trockenes Holz vom Rasen auf, dann räumt er fluchend die Tannenzweige von den Staudenbeeten, brummelt was von «Gewächshaus aufräumen müssen».
    Typisch März. Abends müssen wir uns über die Samenkiste hermachen, was ist noch da, was fehlt? Ich frage ab: Salate? Radiesle? Erbsen? Er inspiziert die Tütchen. Gelbe Bohnen als Stangenbohnen, die wären für Gärtner über siebzig praktisch, aber sie sind leider immer noch nicht erfunden.
    «Die weißen Narzissen blühen», ruft Konrad herüber. So vieles blüht schon zum Palmsonntag, Vergissmeinnicht, einige Tulpen, sogar der Goldlack, überreichlich ist das Angebot für den Palmen. Es juckt mich in den Fingern! Vor drei Jahren habe ich zuletzt einen Palmen gebunden, eine Riesenprozedur ist das: einen Besenstiel mit buntem Band umwickeln, der Aufbau der vier Bögen aus geschältem Holz, ganz oben das Kreuz. Und dann die Pflanzengarnitur – jedes Dorf hat seinen eigenen Brauch, hier bei uns nehmen die Frauen sieben trockene und sieben frische Kräuter. So streng hab ich das nicht gehalten. Ich habe immer genommen, was da war im Garten, so bunt, so üppig wie möglich.
    Meine Liebe zu diesem Fest hat eine dicke Wurzel in der Kindheit. Palmsonntag im Freiburger Münster, der Beginn der Karwoche, war das Größte. Und ich hatte an dem Tag immer einen Riesenzorn, weil nur die Buben Palmen tragen durften. Mit den zwei Meter hohen prächtigen Stecken zogen sie feierlich durchs Hauptportal bis vor zum Altar, mein langweiliger Vetter Leo war unter ihnen. Wir Mädle durften nur einen öden kleinen Thujazweig dabeihaben und aufs Gebetbuch legen. Trotzdem schmetterte ich mit Begeisterung «Hosanna dem Sohne Davids», man fühlte sich ein wenig wie in Jerusalem.
    Ich spüre dieses Freiburger Palmsonntags-Gefühl jedes Jahr um diese Zeit, diese Blumenverrücktheit, gemischt mit Zorn (mein erster Zorn auf die Kirche) und kindlichem Revoluzzertum – wenn ich keinen Palmen tragen darf, dann werde ich einen Sohn haben, der das tut.
    Die Stille der Karwoche halten wir heute noch ein. Innehalten, auch in der Gartenarbeit. Die alten Essrituale, Gründonnerstag Spinat mit Spiegelei, Karfreitag Stockfisch, ohne Stinkefisch geht es nicht. An einem Tag werden wir nach Freiburg fahren, noch ein paar Dinge für unsere Goldhochzeit müssen eingekauft werden. Konrad fehlt ein rosa Hemd, zu meinem schwarzen langen Kleid brauche ich unbedingt eine elfenbeinfarbene Stola.
    Vor solchen Ausflügen fürchte ich mich, vor dem brausenden, hupenden Freiburg. Ich habe in meiner Vaterstadt völlig die Orientierung verloren. Ohne Konrads Arm und Kommando bin ich dort hilflos. Unbedingter Gehorsam ist die Parole, nicht gerade meine Stärke. Und seine Stärke ist nicht das Führen. Der klassische Grobmotoriker, je älter er wird, desto ungeschickter fasst er mich an. Ich verkrampfe mich dann sofort, er wiederum spürt das nicht und zerrt an mir. Was für einen seltsamen Tanz führen die beiden da miteinander auf, mögen die Leute denken.

[zur Inhaltsübersicht]
    Böses Kind
    Statt Schulaufgaben zu machen, hab ich mich oft in meine Bücher vertieft. «Heidi» liebte ich besonders. «Heidi brät Käs auf der Alm.» Was die kann, dachte ich, kann ich auch. Ich spielte oft nach,

Weitere Kostenlose Bücher