Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
was ich gelesen hatte. An diesem Tag hab ich versucht, einen Gervais zu braten. Es ging nicht besonders gut, statt knusprig zu werden, zerfloss er, und mittendrin wurde Alarm geschrien. Schnell, schnell in den Bunker, das Köfferchen geschnappt! Anschließend ein paar Tage bei Verwandten, die außerhalb und daher sicherer wohnten. Als wir zurückkamen, hat meine Mutter gestaunt über die Fliegen und das vergammelte Zeug in der Pfanne. Das hat mir ein paar Ohrfeigen eingetragen, die mich allerdings nicht vom Käsbraten kurierten.
Noch bevor die Bomben in größerer Menge fielen, hatte der Krieg bei uns vieles verändert, am stärksten die Familie. Die Väter fehlten, und die Frauen und alle, die zu Hause blieben, waren total überfordert. Die Nerven lagen blank, und das übertrug sich auf uns Kinder. Selbst Großvater war nicht mehr derselbe, er wurde schweigsam, auch mir gegenüber war er jetzt oft mürrisch. Wir gingen nur noch selten zusammen spazieren, und wenn, dienten unsere Gänge einem nützlichen Zweck. Im Frühling sammelten wir einmal Tannenspitzle.
«Nimm nur die hellen, Strubele. Und nie zu viel an einer Stelle, damit der Baum nicht leidet.» Noch immer unterwies er mich, immer einen halben Schritt hinter mir, damit ich unter seinem Schutz die Dinge selbst entdecken konnte. Er erklärte, wie man aus den jungen Trieben der Tanne mit Hilfe von Zucker eine Art Honig bereitet – mit sehr brüchiger Stimme, beim Reden seine Karlsbader Pastillchen lutschend.
Unsere Mutter, die seit der dritten Geburt müde und völlig überanstrengt war, hat sich damals eng an ihre Schwester Liesel angeschlossen, die eine stramme Nationalsozialistin war. Liesel war ihre einzige leibliche Verwandte, gutsituiert im Vergleich zu uns, «wohlhabend» sogar. Denn sie hatte ein Versteigerungsgeschäft, das florierte. Ziemlich untypisch für eine Frau, bei öffentlichen Versteigerungen rumzubrüllen. Geraucht hat sie. Auto gefahren ist sie. Ein Mannweib war sie, alles andere als fein.
Damals war gerade ihr zweiter Ehemann weggestorben, und sie hat sich kurz entschlossen den nächsten geschnappt. Sie war einfach fürchterlich lebenstüchtig, die «Versteigerungstante», wie wir sie nannten. Eine Frau, die zuerst Kommunistin war, dann bei den Nazis, nach dem Krieg CDU, und als auch das nichts mehr war, ist sie schließlich zur SPD übergelaufen.
Tante Liesel brachte häufig etwas aus ihrem Geschäft mit. Praktische Dinge zumeist, etwas Geschirr für den Haushalt, oder sie schenkte Mutter einen Korbtisch mit zwei Sesselchen, der ihr unheimlich gefiel. Das Schönste war eine Couch aus grünem Samt, mit goldenen Vögeln und verschiedenartigen bunten Blumen bestickt. Eines Tages stand sie plötzlich im Esszimmer. Ich war hingerissen davon, ich konnte nicht genug davon kriegen, sie zu betasten, die farbigen Motive zu studieren. Auf dieses neue Sofa setzte Mutter Jacqueline, die Puppe aus Paris mit dem himmelblauen Kleid und den goldenen Schuhen, die zum Spielen zu fein war. Beide, Sofa und Puppe, waren anders als die Sachen, die schon immer da waren. Von ihnen ging etwas Fremdes aus, wie aus einem Märchen herausgesprungen schienen sie.
Einige Male bin ich durch den großen Raum gestreift, in dem Tante Liesel ihre ganze Pracht aufbewahrte. Verschiedene Spiegel mit Goldrahmen waren dort, ich sehe mich noch, wie ich mich zwischen den eng gestellten Möbeln hindurchzwänge, staunend vor einer glänzend schwarzen Kommode mit den vielen Schubladen stehe. Woher hatte Tante Liesel das alles? Von Wohnungsauflösungen, hieß es. Wenn Leute fortziehen, verkaufen sie, was sie nicht mehr brauchen, und das wird dann versteigert an andere, die es haben wollen. Aus dem Möbellager, das direkt neben dem Versteigerungszimmer lag, hörte man immer das Getöse. «Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten.» Wie eine Hexe schrie sie, «Zuschlag!» Tante Liesel krähte so fürchterlich, dass ich mich nicht in den Saal, zu den vielen Leuten, traute. Bumm! fiel der Hammer. Interessant war es schon. Zu Hause im Wohnzimmer habe ich Versteigerung gespielt, ich schrie, und Peter kaufte das Sofakissen oder das Sofa mit den Vögeln.
Bei meiner Jagd nach Gedrucktem habe ich eines Sonntags aus Tante Liesels Handtasche heimlich einige zusammengekniffte Papiere entwendet. Es waren Listen, ellenlange schwarz getippte Kolonnen von Wörtern, deren Großteil ich nicht kannte: Sekretär, Buffet, Rokoko, Art déco, dahinter jeweils ein Preis, eine meist ziemlich hohe Summe in
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