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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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waren zu schwach, und Carola wurde als Jungmagd gebraucht. Ich wollte gern wieder zur Schule, endlich wieder ein Buch sehen. Der Lehrer fragte mich ein wenig aus und steckte mich zu den Großen, in Freiburg war ich erst in der Fünften gewesen. Im Klassenzimmer war es am Morgen stockdunkel. Außerdem hatte ich keine anständigen Hefte und nur geliehene Bücher. Wenn ich sie unter mein linkes Auge rückte, wurde mir fast übel, so stanken sie.
    Was die lernten, wusste ich schon lange. Aber ich bekam einen Schulfreund, den Fritz. Er war knapp vierzehn, ein Junge vom Nachbarhof, sein Vater war im Krieg, die Mutter kränklich. Deswegen musste er mit seinen älteren Schwestern die ganze Hofwirtschaft versorgen. Ein blitzgescheiter Kerl, der unheimlich schnell rechnen konnte, nur dass er nie Zeit für Hausaufgaben hatte. Der einzige von all den Buben, der nicht immer wüste Wörter gesagt hat, wie «Drecksau», «Scheiße», und nicht gestunken hat wie ein Ferkel. Fritz kam regelmäßig zu spät, weil er morgens den Stall machen musste. Ich gewöhnte mir an, auf ihn zu warten. Wir hockten uns unterwegs auf einen Weidezaun, und er schrieb mit affenartiger Geschwindigkeit alles bei mir ab. Dann rannten wir hinunter zur Mühle, hinter der unsere Schule stand. Sie redeten schon über uns, wir wären «Schätzli».
    Was das anging, war die Dorfjugend mir weit voraus. Ich hörte nicht auf zu staunen – und auch heute noch erscheint mir geradezu unglaublich, wie fremd dort alles war, dabei waren wir nur fünfunddreißig Kilometer von Freiburg entfernt. Bildstein war kein geschlossenes Dorf, die Bewohner siedelten verstreut – ein paar wenige richtige Bauernhöfe nur, ansonsten Häusle und Hütten, Kleinstbauern mit nur einer Kuh, Tagelöhner. Viel Armut, viel Sauferei. Auch zu solchen Leuten wanderte ich gelegentlich, der Spielkameraden wegen.
    «Du, die mache grad e rothooriges Bäby.»
    «Wieso Bäby?»
    Ein großer Bub feuerte die Kleineren an. «Wer klettert emol nuff?» Mehr als ein Dutzend kreischende Kinder standen um die Leiter herum. Es ging um das, was da oben passierte, um den merkwürdigen Lärm, der aus dem Fenster kam, wie Tierschreie, Tiere, die sich schlagen. «Wer?» Für Mutproben war ich bekanntlich zu haben, also kletterte ich hoch. Sehen konnte ich fast nichts, nur zwei rote Schöpfe in wilder Bewegung. «Die balgen sich», berichtete ich von oben. Die großen Buben lachten schallend und ein wenig boshaft. Es klang ein wenig ähnlich wie das Lachen der Männer, das an bestimmten Tagen in der Wohnstube unseres Hofes zu hören war.
    Wenn Schnaps gebrannt worden war und die Nachbarn anschließend zusammenhockten, musste immer eine Frau «so voll sein, dass sie zahm war». Und das war meistens meine Mutter. Mina, die absonderliche, herrische Wirtschafterin, lockte sie: «Ein Butterbällchen, Else. Komm, komm, komm.» Obendrauf, auf die Butter, dann ein großes Mostglas voll Schnaps. Zum Glück wurde es Mutter furchtbar übel, sie kotzte so lästerlich, dass die Männer keine Lust mehr hatten auf sie.
    Immer näher kam ich dem Geheimnis, doch ich wehrte es instinktiv ab. Ich wollte nicht wissen, was meine nicht mehr völlig kindliche Verliebtheit in Fritz mit dem anderen zu tun hatte, dem Gebalge, den Andeutungen und dem Beängstigenden, das sich in mir selbst regte. Ich flüchtete mich in das Buch, das einzige, das mitzunehmen mir gelungen war, den Scheffel’schen «Ekkehard». Und dort war es zu meiner Überraschung schon wieder, dieses Rätselhafte, und ausgerechnet in der Klostereinsamkeit von St. Gallen. Da liebt eine Herzogin, Hadwig, den jungen Mönch Ekkehard, jedoch finden sie nicht zueinander. Viele Male habe ich es gelesen, kaum war ich durch, bin ich wieder zum Anfang zurück. Mir war die Magd von Hadwig besonders sympathisch, die schöne, gebildete Griechin Praxedis, eine Frau ohne Liebesnöte, bei ihr fühlte ich mich beschützt.
    Zwischendurch versank ich in Tagträumen, oder ich schloss mich den Katzen Migger und Mohrle an. Oder ich besuchte «Fuchs», das größte und dickste und langsamste Tier auf dem Hof, ein rotbraunes Pferd von vierundzwanzig Jahren, das einzige, das nicht zum Kriegsdienst eingezogen war.
    Es wurde Februar, es wurde März. Sobald die Matten schneefrei waren, wurden die Schafe rausgelassen. Und es hieß: Wer von den Kindern soll sie hüten? Ich Einfaltspinsel meldete mich freiwillig. Von «friedlichen Schafherden» hatte ich irgendwo gelesen, auf meinem Kommunionbild war

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