Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Bänken umgearbeitet.
In früheren Jahren tobte um diese Zeit die erste Einmachschlacht des Jahres. Juni, der Beerenmonat, der Kirschenmonat. Was nicht frisch verzehrt wurde, musste verarbeitet werden. Gewaltige Mengen waren das, zumal Konrad überhaupt kein Obst isst, er hasst es geradezu, nur Trauben mag er, und die am liebsten in flüssiger Form. Abends stürzte ich mich ins Erdbeerbeet und frühmorgens wieder, schnell, schnell, gleichzeitig schrien die Johannisbeeren «Ernte mich!». Den ganzen Monat über waren meine Finger rot vom Saft, Arme, Schürzen, alles rot und klebrig. Am Steintisch hab ich meistens geputzt und sortiert, und dann ab in die Küche, Marmelade und Gelee kochen. Fürs Wiegen von Zucker und Früchten brauchte ich zu Anfang meines Hausfrauendaseins noch Konrad. Immer mit der Nase auf der Skala, das war mir zu mühselig. Später, seit es die sprechenden Waagen gab, hab ich auch das allein bewältigen können. Dieser Juni in seiner Fülle ist auch ein Diktator, er macht dich zum Sklaven.
Wie alle Frauen bin ich eines Tages der Gefriertruhe verfallen, in den Sechzigern kam sie auf. Es geht schneller mit dem Konservieren, du kannst die Saison der Erdbeeren verlängern, praktisch das ganze Jahr verobsten. Wir hatten eine der ersten Truhen im Dorf, die meisten Familien kauften sich zunächst keine, sondern taten sich zu einer Gefriergemeinschaft zusammen. Im Keller des Rathauses wurde eine Kühlanlage eingerichtet mit einigen Dutzend Fächern, die man mietete. Dadurch entstand ein neuer Treffpunkt, das war schön, da bin ich auch gern hin. Abends, wenn die Beutel und Dosen im Eis verstaut waren, saßen die Frauen noch ein wenig auf der Bank vor dem Eingang. Einmachtipps wurden ausgetauscht. Was, du nimmst Gelierzucker? Nein, ich nehme Dr. Oetkers «Opekta». Aga-Aga ist das Beste, fand ich und war damit allein auf weiter Flur. Viel Mundpropaganda, von der «Senga Sengana» hab ich dort das erste Mal gehört. Sie war der Schwarm vieler Frauen, eine robuste, zum Einfrieren besonders geeignete Erdbeersorte. Mir schmeckte sie nicht, ich bin wieder auf «Asieta» und «Mieze Schindler» umgestiegen.
Erstaunlich, wie sehr die Welt der Geschlechter damals noch getrennt war – Frauenarbeit, Männerarbeit. Im Gefrierhaus traf man nur Frauen, allenfalls im Spätherbst, in der Schlachtsaison, tanzten ein paar Männer mit an, da wurden schon mal Ferkelhälften transportiert.
In diesem Juni verschenken wir das meiste. Konrad ist sowieso ein Verschenker, für ihn ist das Beste am Garten, etwas fortgeben zu können. An Nachbarn, an Freunde. Wenn die genug haben, stellt er körbeweise Obst und Gemüse an die Straße für Fremde und freut sich wie ein Schneekönig, wenn sie weg sind. Und steigt wieder in den Herzkirschenbaum, er verbringt ganze Tage da oben, auf der schwankenden Leiter. Frühmorgens schon vertreibt er mit Topfdeckelklappern die gefräßigen Stare und scheucht die Spatzen, «das Lumpengesindel». Tiefhängende Zweige lässt er für mich, im Vorbeigehen gibt er mir manchmal einen Tipp, «unten rechts lohnt sich ’s Fresse.» Fressen wie ein Tier, in rauen Mengen! Tagsüber muss ich höllisch aufpassen wegen der Wespen, nachts geht es ohne Gefahr.
Dahlienknopsen zeigen sich jetzt schon. Mitte des Monats kann ich sie schon fühlen, das geht wahnsinnig schnell. Juni, Juli, August, September blühen sie, im Oktober die letzten.
Ende Oktober werden sich die Ärzte über mein Herz hermachen.
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Büro und Jazzkeller
«Du musst jetzt sofort in den Beruf!», haben meine Eltern gesagt, kaum dass ich wieder zu Hause war. Bei meiner Abreise war ich ein Kind gewesen, jetzt war ich eine junge Frau. Ich wollte ein eigenes Zimmer, für mich allein. Meine Eltern wollten mich bei meiner zehnjährigen Schwester einquartieren. Vater war es sowieso am liebsten, wenn die ganze Familie um ihn herumsaß, er selbst thronte als Pascha oben vor Kopf. Da wurde Skat gespielt, was auch immer, ich sollte mich dazusetzen, mich einfügen.
Mit Ach und Krach habe ich die kleine Mansarde im vierten Stock erobert, ein ganzes Jahr lang ging dieser Kampf. Darf ich, darf ich nicht? «Aber herrichten musst du sie selber!» Nur ein Bett stand darin, mit einer Kastenmatratze, aus der Seegras quoll. Ein Kachelofen, der Feuer gespuckt hat. Kein Wasser, kein Klo. Die erste Arbeit war, den baufälligen Ofen zu entsorgen. Kachel für Kachel musste abgeschlagen und in den Hof getragen werden. Dazu habe ich mir einen
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