Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
großen Korb hergerichtet und immer zwei, drei in feuchte Tücher eingeschlagen, damit es nicht so arg staubte. Vom Ersparten hab ich mir einen Dauerbrandofen gekauft und ein Stück Stragula. Mein Bruder Peter, der Malerlehrling, hat mir gnädigerweise die Wände gestrichen.
Es lebe die Freiheit! Ich konnte abschließen! Jeden Tag, den Gott werden ließ, bin ich morgens mit dem Waschwassereimer in der Hand nach unten marschiert, habe mich meiner Familie gezeigt und einen Kaffee getrunken, das Wasser in die Toilette geschüttet, Eimer ausgespült.
Und auf in die Stadt, auf Stellensuche. Annoncen studieren, herumfragen. Im Grunde kam nur ein Büroberuf in Frage. Bei Versicherungen bewarb ich mich mehrfach als Schreibkraft. Brief, Vorstellungsgespräch, es lief immer gleich ab. Die Herrschaften, die mich befragten, stellten sich nicht vor. Und ich, nachdem ich meinen Stuhl gefunden und möglichst elegant darauf Platz genommen hatte, legte los:
«Ich heiße Magdalena Eglin, ich bin neunzehn Jahre alt», sprach ich mit fester Stimme. «Sie haben ja schon aus meinem Schreiben entnommen, was ich gelernt habe.»
«Wie wollen Sie das denn schaffen als Blinde?»
«Ich besitze eine spezielle Steno-Maschine.» Ich strunzte mit meinen Silbenrekorden.
«Sie werden von uns Bescheid bekommen, Fräulein Eglin.»
Sehr freundlich, hintennach kam die Absage. Vielleicht hat sie meine Forschheit, der Mangel an Demut, gestört? Ich fürchtete mich zunehmend vor dem Berufsleben. Nicht so sehr vor der Arbeit; wenn es sie denn gäbe, würde ich mich schon zurechtfinden, sondern vor den modernen Regeln des Vorwärtskommens. In der Handelsschule hatten die Lehrer von den Möglichkeiten, Geld zu machen, gesprochen, «money making», «big business», «cost-benefit», all dem, was nach dem Krieg von Amerika in die Bundesrepublik gekommen war. Weltweit wurde jetzt das Verdienen hochstilisiert.
«Wie schnell schreiben Sie?», hieß es, wenn ich mich irgendwo vorstellte. Viel langsamer als üblich war ich gar nicht. Ich trat dem Steno-Verein bei, übte täglich und brachte es bald auf 260 Silben die Minute, auch bei Wettbewerben habe ich mitgemacht. Die Sehenden schrieben auf einem Block, ich auf der Kurzschriftmaschine mit Punkttastatur. Weil mein Geklapper die anderen nervte, musste ich oft in einen anderen Raum. Auf den verschiedensten Gebieten versuchte ich, eine ganz normale Neunzehnjährige zu sein. Im Sommer meldete ich mich zum Schwimmkurs an, Schwimmen muss der Mensch können, somit auch ich. Das Freibad war nicht gerade ein idealer Ort für mich, zu viel Gekreische, das war Folter für die Ohren. Meine Kabine wiederzufinden konnte leicht zum Abenteuer werden.
Freiburg hatte sich in meiner vierjährigen Abwesenheit wieder belebt. Auf meinen Wegen durch die Stadt waren kaum noch Trümmerberge, allerdings noch viele Häuserlücken, immer noch fehlten ganze Zeilen. «Der Metzger hat wieder aufgemacht!», rief man sich zu. «In der Kaiser-Joseph-Straße ist Richtfest!» Dort hatten sie die Straße verbreitert und vor die Häuser Arkaden gesetzt, damit man auch bei Sauwetter flanieren konnte. Auch der Münsterplatz hatte wieder eine gewisse Gestalt. Damals, während der Passionsspiele, war die Nordseite völlig wüst gewesen, unser Golgatha war ein Trümmerhügel, jetzt standen an dieser Stelle wieder Häuser. Meine alte Freundin, die Klofrau, war noch da, vor ihrem Fensterle wie früher bunte Wiesensträuße. «Wie schön!», dachte ich, ihre Anwesenheit beruhigte mich. «Guten Tag» sagte ich ihr nur noch selten, und wenn, ganz kurz: «Hab keine Zeit. Adieu.» Ich schäme mich bis heute meiner Untreue. Nach Marburg, den verpissten Internatstoiletten und alldem, vertrug ich den Uringestank nicht mehr.
An sonnigen Abenden ging ich an der Dreisam entlang, auf Großvaters Spuren, oder im einsamen Mooswald spazieren. Mal wanderte ich über den Bettlerpfad nach Merzhausen, allein, sonntags ab und zu auch mit der Familie, wenn unser Vater die Dorfwirtschäftle besuchte, deren Wirte Kunden bei ihm waren. Doch meistens hab ich mich am Sonntag abgeseilt, morgens schon. So getan, als ginge ich zur Messe, und bin dann woandershin, ins Augustinermuseum, zu Freunden. Jahrelang habe ich keine Kirche mehr besucht, diesen ganzen Pfaffenquatsch konnte ich nicht mehr hören. Religion und alles, was bürgerlich war, hab ich total abgelehnt. Und demonstrierte dies nach außen hin, indem ich mich «verschlohe» kleidete, hochdeutsch: verschlampt,
Weitere Kostenlose Bücher