Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
uns angeregt. Lästern, lachen. Nichts, was mit dem Semesterprogramm zu tun hat.
«Sie hän richtig Küeh ghüetet?», fragt er ungläubig. Weiß der Himmel, wie sich das Thema ergibt. Normalerweise erzählt man nicht von diesen elenden Zeiten, Fremden schon gar nicht. Und so elegant, wie ich jetzt bin, weit entfernt von dem armen Mädle, das den Viechern hinterherstolpert, bin ich nie gewesen.
«Mir hän kei Schuh ghet bi de Bure.»
«Im Herbscht, im nasse Gras, hemmer gefrore.»
«I hab gwartet, bis e Kueh de Schwanz lupft, und deno hani d’ Füeß in d’ Flade gsteckt.»
Wir können nicht aufhören damit. Er ist genau zur selben Zeit Hütebub gewesen, zu Hause in Herrenschwand, im südlichen Schwarzwald. Vor Kriegsende, mit zehn Jahren – Konrad Weingartner ist zwei Jahre jünger als ich.
«I hab mer emol ’s Bei verletzt.»
«Mer muess halt drüberbrünsle.»
«Des isch immer no ’s Bescht.»
Darüber wird es Nacht. Im Aufbruch höre ich noch Eberhard Meckel in der Garderobe scherzen:
«Die beiden werden ein Paar!»
Eine tollkühne Prophezeiung! An diesem Abend im April 1955 war sie mir nur peinlich. Blödsinn! Ich kenne diesen jungen Herrn Weingartner doch gar nicht, und mögen tu ich ihn auch nicht.
Mein letzter Omnibus nach Freiburg war längst weg. «Ich begleite Sie gern nach Hause, Fräulein Eglin.» Ohne meine Antwort abzuwarten, setzte er sich in Marsch, schnellen und etwas tapsigen Schrittes, sein Fahrrad neben sich her schiebend. Auf dem ersten, unbekannten Teil der Strecke kam ich nur mit größter Mühe mit, mir schien, er achtete gar nicht auf mich. Anderthalb Stunden brauchten wir, schließlich war der Schlossberg erreicht, und er schwieg immer noch. Mir lag die Frage auf der Zunge, ob er es noch weit habe und wo er denn arbeite. In unserer Hofeinfahrt sagte er kurz: «Adieu, Fräulein Eglin», und schwang sich schnell auf sein Rad.
Anderntags wartete Konrad Weingartner am Ausgang der Oberpostdirektion auf mich. Seither gingen wir zusammen aus, im nächsten Lesekurs der Volkshochschule saßen wir nebeneinander. Zu meinem Erstaunen war er ziemlich schüchtern, er drängte mich nicht übermäßig zu Küssen, und das war mir recht. «Du, Magdalena», wir hatten einige Wochen gewartet mit dem Duzen, «warum bist du am ersten Abend eigentlich so elegant gewesen?» – «Einfach so.» Von meiner Einsamkeit im vergangenen Winter mochte ich nicht sprechen. «Meinst du, ich sollte etwas anderes tragen?» – «Ja, nicht so langweilige Farben, etwas Buntes.» Seine Ermunterung setzte ich sogleich in die Tat um und kaufte mir ein rotes Kleid mit farbigen Dreiecken, bald darauf noch ein blau gemustertes. Seltsam, dass ich mich so leicht beeinflussen ließ. Dabei wusste ich noch nicht einmal, was mein Verehrer für einen Beruf hatte. Im Sommer erst erfuhr ich es.
Der Direktor des theologischen Konvikts zitierte mich zu sich. «Was denken Sie sich dabei, Fräulein Eglin? Mit einem Theologen anzubändeln?» Ein Gewittersturm donnerte auf mich hernieder. «Sie machen uns den Weingartner abspenstig.» Warum hatte Konrad mir das verschwiegen? «Ich wusste nicht, dass er Theologie studiert», antwortete ich kühl. Innerlich war ich wütend, maßlos enttäuscht. Ein Mann, der Priester werden will. Konrad ist nicht frei!
Wir hatten einen Riesenkrach. Konrad wehrte sich, und ich hörte nicht zu. Wir saßen auf unserer Bank am Schlossberg, ich am einen Ende, er am anderen. Nach vielen Stunden endlich wusste ich ungefähr, was mit ihm los war. Er war im sogenannten «externen Jahr». Nach drei Semestern Theologiestudium ließ man die künftigen Priester noch einmal frei, damit sie sich prüfen. Sie sollten außerhalb des Konvikts wohnen und Erfahrungen sammeln. Und Konrad hatte sich vor Monaten, schon bevor er mich kennenlernte, ins Leben gestürzt, war mittendrin. Er hatte auf Ausflügen ins Glottertal das Weintrinken gelernt, sich erlaubt, mit Mädle zu flirten. Er war auf dem Absprung und wusste nur noch nicht, wohin. Das verstand ich, und ich verstand auch, wenigstens andeutungsweise, dass er viel Schweres hinter sich hatte.
Es berührte mich, was er vom Schwarzwald erzählte, den Gärtle und Geißle, die jeder dort oben zum Überleben braucht. Offenbar war er, viel mehr noch als ich, ohne Liebe aufgewachsen. An seinen Vater, der Arbeiter in einer Bürstenfabrik war und früh starb, hatte er keine Erinnerung. Der Mutter war es allein kaum gelungen, ihn und die beiden älteren Geschwister, Bruder
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