Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Gelände, prüfte Entfernungen, die Erhebungen und Vertiefungen, verweilte. Eine Stunde dauerte es, vielleicht zwei. Konrad lag geduldig auf dem Plüschsofa. Von der achtzigjährigen, äußerst toleranten, uns wohlgesinnten Wirtin war keine Störung der anthropologischen Exkursion zu erwarten.
Gegensätzlicher als Konrad und ich konnte ein Paar kaum sein – eine schräge, Gauloises qualmende Städterin, die mit Gott haderte und im Sartre-Himmel schwebte, und ein Beinahe-Theologe vom Kuhdorf, selbst in dieser Krisenphase schien er in sich zu ruhen. In seinem externen Jahr, in dessen Verlauf er sich von der Priesterlaufbahn endgültig verabschiedet hatte, arbeitete er als Korrektor im katholischen Herder-Verlag. Dort konnte man Leute mit abgebrochenem Theologie-Studium, die Latein-, Griechisch- und Hebräischkenntnisse hatten, gut brauchen. Miserabel bezahlt, schlechter als die kleinste Schreibkraft. Mit seinem Lohn hielt Konrad sich, genügsam wie er war, so gerade über Wasser. Viermal die Woche, morgens um Viertel nach sechs, ministrierte er im Katharinenstift, dafür gab es Frühstück. Auch am Sonntag verköstigten ihn die Nonnen, von dem reichlichen Vesper konnte er noch den halben Montag zehren.
Meinen Eltern hatte ich Konrad inzwischen vorgestellt.
«Kann sein, dass mich am Sonntag ein junger Mann abholt.»
«Wer ist denn das?», fragte Mutter, mit einem kleinen Vibrieren in der Stimme.
«Man kann gut mit ihm reden. Konrad Weingartner heißt er.»
An jenem Sonntag, als der neugierig Erwartete dann klingelte, war Vater, der sonst nie den Hintern gelüpft hat, zur Tür getrapst.
«Tag, Herr Bauer!», sagte mein Vater.
Konrad trug eine schlottrige Hose und einen alten Mantel, in einer grauenhaften Farbe, Lila-Beige. Ein Textil aus Amispenden, ich hab es immer das «angebrannte Rotkraut» genannt. Ganz unrecht hatte Vater nicht, Konrad war so etwas wie ein Bauer, er wirkte jedenfalls gänzlich unstädtisch.
Gleich nach der schroffen Begrüßung waren wir geflohen und lange durch den Schwarzwald gewandert. Es regnete sehr, trotzdem liefen wir weiter, wir sprachen über unsere Familien. Konrad verstand, mein Vater war ein blöder Hund, den das Schicksal so hat werden lassen, der Krieg vor allem, aus dem er als dürres Männlein zurückkam. Den Wiederaufbau der Werkstatt hatte er hingekriegt, jetzt backte er kleine Brötchen, und er traute sich keine größeren zu.
Konrad erzählte von seiner geplagten Mutter, vom Putzen und Nähen und dass es nie gereicht hatte. Die ihre Kinder, damit sie es einmal besser haben, der Kirche anvertraute, weil es keine andere Möglichkeit gab, zu Bildung zu gelangen. Die jetzt glücklich und erleichtert war, dass alle drei untergekommen zu sein schienen, die Tochter im Kloster, beide Söhne auf dem Weg, Priester zu werden.
Seit dem Vorfall am Sonntag schleuste ich meinen Freund an der Haustür vorbei, direkt in meine Mansarde. Auch in Konrads Familie regte sich Widerstand gegen unsere Beziehung. Jemand hatte gepetzt, und so kreuzte eines Tages seine Mutter zornrauschend bei seiner Vermieterin auf: Da sei eine Blinde, die würde ihren Sohn verführen. «Die will den Konrad haben!» Da müsse ein Riegel davor, «Schluss aus.» Sie tobte. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass der brave Sohn nicht ins Konvikt zurückwollte, und daran war ich schuld. Zu einem Kennenlernen kam es nicht, sie fuhr nach ihrem Auftritt gleich nach Herrenschwand zurück.
Dem dortigen Pfarrer, der ihn seit seiner Kinderzeit am Bändel hielt, hatte sich Konrad bereits erklärt. «Ich möchte frei sein.» Dieser hatte ihm eine Rechnung aufgemacht – das Geld für die Ausbildung müsse er zurückzahlen, 5000 DM.
Was tun? Ein Freiburger Prälat, den Konrad um Rat fragte, meinte: «Entweder Sie gehen zum Zoll, Herr Weingartner. Oder Sie machen bei der Kirche irgendwas, Religionserzieher oder Caritas. Oder Sie werden Lehrer. Wenn Sie mich fragen: Bei der Kirche können Sie nicht leben und nicht sterben. Gehen Sie zum Staat. Lehrer ist das Beste. Da haben Sie einen halben Tag Schule und den anderen halben Tag können Sie machen, was Sie wollen.»
«Unten ist ein Herr Weingartner für Sie, Fräulein Eglin!» Von der Pforte der OPD riefen sie an. «Es ist dringend.» Unten im Eingangsbereich wartete Konrad auf mich, freudig erregt, er trampelte von einem Bein aufs andere.
«Du, i chaa Lehrer were. Glii morn chan i afange. Was meinscht dazue, Magdalena?»
«Mach’s.»
«Aber i chaa doch kei Musik, i
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