Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
chaa nit zeichne und nit turne.»
«Du, i hilf dr. Des klappt scho.»
Vier Semester verlangte man von ihm, zwei von der Theologie haben sie ihm angerechnet – anscheinend brauchten sie dringend junge Lehrer. Auf unseren gemeinsamen Sonntagsausflügen in den Schwarzwald haben wir zusammen gelernt. Im kleinen Rucksack hatten wir ein wenig Dörrobst und Pumpernickel dabei, manchmal auch ein Wurstbrot, nur das Nötigste. Und ein Biologiebuch, den Kosmos-Pflanzenführer, mal eine Blockflöte, mal einen Zeichenblock. Konrad hat unter meiner Anleitung ein Tannenbäumle gezeichnet, ich lehrte ihn Farbenmischen und die Grundbegriffe der Farbenlehre. Was ist Preußisch Blau? Wie entsteht Türkis? Wenn es gut lief mit dem Lernen, leisteten wir uns einen Abstecher zu einem der Dorfkirchle.
Für den September planten wir eine botanische Exkursion auf dem alpinen Pfad, am Feldberg.
«Ich hab einen Freund, der geht mit mir den alpinen Pfad», erzählte ich voll Stolz im Büro.
«Ist ja Wahnsinn! Du stürzt doch ab.»
«Nein, warum?»
An den steilsten Wegabschnitten hat Konrad mich führen müssen. Und mich mit fester Hand ein paar Felsstufen hochgezogen.
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Ich will ein Kind
In den ersten Jahren war das Terrain des Gemeinsamen im Grunde schon sehr weitgehend abgesteckt. Vor allem die geistige Welt war uns beiden wichtig, teils als Schutz, um der schwierigen Wirklichkeit, dem Körperlichen, auszuweichen, das wir unter unglaublichen Anstrengungen hinauszögerten. Aber nicht nur Flucht war es, wir trafen uns im Denken – meine Begeisterung für die Sprachästhetik, seine tiefe Bereitschaft zum Philosophieren. Konrad hat mir Platon-Dialoge vorgelesen und viel von Martin Buber. Oft haben wir uns in der Mittagspause auf dem alten Friedhof verabredet, auf einer abseits gelegenen, sonnigen Bank. Ich lag mit dem Oberkörper auf seinem Schoß. Statt zu küssen, haben wir Philosophie eingesogen. Ohne dies hätten wir das Abenteuer, das am Horizont stand, nie wagen können. Wohin würde es uns führen? Martin Buber sagt: «Alle Reisen haben eine heimliche Bestimmung, die der Reisende nicht ahnt.»
Mit diesem Menschen könnte ich mich trauen zu leben, dachte ich. Und Kinder zu haben, das war immer schon mein Wunsch, eine ganz große Sehnsucht, heiraten und Kinder gehörten für mich unbedingt zusammen. Für Konrad auch, deswegen vor allem war er nicht Pfarrer geworden. Er wollte Familie haben, nach diesen Anstaltszeiten in Beziehungen leben, die er selbst gestaltet. Also haben wir mit aller Kraft versucht, herauszufinden, ob meine Blindheit erblich ist oder nicht. Seit Marburg lag diese Last auf mir, der Heimleiter der Blindenschule hatte die schreckliche Vermutung geäußert. «Erbkrank», dieses Wort, das ich von meiner Tante Liesel zum ersten Mal gehört hatte, war in mein Leben eingewachsen.
In meiner Familie war anscheinend vor mir niemand mit angeborenem grauem Star, auch nicht in den Nebenlinien. Wir suchten und fragten bei den Verwandten, zur Vorsicht auch in Konrads Sippe, wir verfolgten jede Spur, viele Generationen zurück. Nein, da ist nichts.
Was sonst konnte die Ursache für meine Blindheit sein? Man kommt auf allerhand merkwürdige Ideen, wenn man Fachbücher wälzt. Meine Mutter hatte mal gesagt, sie wäre nach dem Abort nicht ausgeschabt worden. War es das? Man machte damals nur selten eine Curettage. Deswegen vielleicht war ich, das nächste Kind, das in ihr wuchs, in dem «ungeputzten Ofen» sozusagen, nicht ganz «ausgebacken». Eine der Theorien, die Zuversicht weckte. Wir schöpften Hoffnungen aus den tiefsten Abgründen. War es das umfangreiche Liebesleben meines Vaters? Eine Geschlechtskrankheit konnte im Spiel sein, und wenn ja, wäre das gut, es hieße nämlich, meine Blindheit wäre nicht genetisch bedingt.
Unter Konrads Einfluss war ich dabei, meinen Glauben wiederzufinden. Indem ich einem Menschen vertraute, konnte ich auch Gott wieder vertrauen. Ab und zu ging ich sonntags in den Gottesdienst. Bei einem Beichtgespräch mit einem Geistlichen, der mich schon lange kannte, schnitt ich das Thema an.
«Pater, es fällt mir schwer, enthaltsam zu leben.»
«Kind, das geht vielen so. Bete.»
«Pater, ich möchte heiraten. Und ich weiß nicht, ob ich es darf.»
«Sie müssen allein bleiben, Magdalena.»
Ein Veto also der Kirche. Sie verlangte von mir Gehorsam. «Magdalena darf nicht heiraten», viele in unserer Umgebung, Verwandte, Kollegen, waren zumindest heimlich dieser
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