Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Meinung.
«Wenn Sie einen gesunden Mann heiraten, ist das Risiko nicht so groß», lautete die offizielle medizinische Auskunft. Bekanntlich hatten die erfahrensten Ärzte ihren Beruf in der Nazizeit gelernt, zu ihnen ging ich. Natürlich zog ich die größte Kapazität in der Freiburger Augenklinik zu Rate, den Professor, der mich seit meiner frühesten Augenoperation kannte. Den, der mich zuletzt mit einer Telefonistenstelle geködert hatte, um mich als Versuchskaninchen zu gewinnen, weswegen ich ihn eigentlich nicht hatte wiedersehen wollen. «Es kann gutgehen, es kann schlechtgehen», sagte er. «Fünfzig zu fünfzig. Wenn Sie einen Afrikaner heiraten, Fräulein Eglin, geht es wahrscheinlich gut.»
Nach der Rückkehr von der Untersuchung hab ich mich auf mein kleines Bett gelegt. Konrad war da. Er saß neben mir und hat nichts gesagt und hat nichts anderes gemacht, als mich zu bewachen, damit ich mir nichts antat.
Mit seltsam nüchterner Entschlossenheit begannen wir, die Dinge zu tun, die ein junges mittelloses Paar vor der Hochzeit zu tun hat. Die Sparzeit ging los, Winter 1957/58. Ungefähr zu der Zeit, als die Sowjetunion die ersten Sputniks ins Weltall schickte. Es interessierte uns nicht. Ich erinnere mich nur, dass sie eine kleine Hündin in die Raumkapsel steckten, und an ihren Namen «Laika», und dass ich mich fragte, warum schicken die Wissenschaftler ein Tier da hoch und forschen nicht zu Ende, was ich wissen will.
Von meinem kleinen Gehalt hatte ich mir bis dahin dreißig Mark Taschengeld im Monat erlaubt, für Unterwäsche oder mal eine Flasche Kölnisch Wasser, für meine Gauloises. Das wurde jetzt gestrichen zwecks Aussteuer-Kaufs. Bettbezüge, Handtücher, Stück für Stück schaffte ich alles an. Gelegentlich wurde ich schwach und gab das Kochlöffelgeld für Schallplatten aus – nach alter Gewohnheit, eine moderne, eine klassische, einen Louis Armstrong, einmal Mönchsgesänge vom Berg Athos. Gespart werden musste auf Möbel, zwei Betten, auseinander stellbar, Schrank und Herrenkommode.
Von Konrads Geld, der neben dem Studium weiterhin beim Herder-Verlag Manuskripte korrigierte, ging das meiste für die Schulden bei der Kirche drauf. «Wir heiraten nicht, ehe das nicht abgetragen ist.» Fünftausend Mark, das war für uns schwindelerregend. Er wollte das unbedingt allein schaffen, ohne mich.
In Konrads Stüble probten wir schon mal den Hausstand. Auf der Kochstelle, unter dem Dachfenster, brutzelte es. Der wacklige Kleiderschrank diente als Vorratskammer. Zwischen Büchern, Bett und Herd lernte Konrad fürs Examen, meine Anwesenheit störte ihn nicht. Manchmal fragte er mich etwas, oder er gab von sich, was ihn amüsierte. «Das gemeine Glühwürmchen oder Johanniswürmchen, lateinisch: Lampyridae. Rate mal, Magdalena. Haben die Männer oder die Frauen Laternen, oder beide?»
«Komm, i leg mi a wengele hi.» Konrad wartete meist auf mein Signal.
«Au jo, a bitzele.»
Wir schmusten, ohne dass es «zum Äußersten» kam. «Petting», dieses Wort aus Amerika kam gerade auf. Wir hatten keines dafür, wir hatten für diese intimen Bewandtnisse und Wünsche überhaupt keine Worte. Konrad war hungrig, in mir sehnte sich alles nach ihm, und ich machte mit, soweit es eben ging, auf meine Art, spielerisch zärtlich. Ihm war das nicht gegeben, sein Eifer war auch auf diesem Gebiet ernst und geradeaus.
Konrad machte mir nie einen Heiratsantrag. Verlobung haben wir von vornherein abgelehnt, das wäre nur etwas für die anderen gewesen. Auch einen Tag der Entscheidung gab es nicht, alles ging nach und nach. «Es wäre schwer allein», sagte einer von uns. «Zu zweit ist es leichter.» Solche Sätze fielen. «Ich liebe dich» kam nicht vor. Wohl: «I hab di gern.» Die Alemannen überhaupt sind, obwohl sie gern schwätzen, diesbezüglich ziemlich wortkarg und spröde. «I hab mi ganz verrumt in di», las ich mal in einem Mundartgedicht, von einem Lyriker aus dem Wiesental. «Ich hab mich ganz verräumt in dich.» So ungefähr war es damals. Wir verräumten Herz und Gedanken, hinüber und herüber, auch Gegenstände, Konrads alte Bärenhandpuppe in meine Mansarde, «dann bist du nicht allein, Magdalena», anderntags brachte ich sie ihm wieder zurück. Wir räumten geträumte Möbel und Teppiche in unser Luftschloss.
Soweit Platz war, bunkerten wir schon mal bescheidene Dinge in unseren Mansarden. Aus dem Katharinenstift brachte Konrad zum Beispiel ein ausrangiertes Tischchen. «Können wir das
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