Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
brauchen?» Mir wurde schnell klar, ich heirate einen passionierten, gewitzten Sperrmülljäger.
Fahren wir ins Tälele? Im Sommer fuhren wir oft dorthin, in den «Sägedobel», ein stilles Tal, durch das kein Wanderweg führte. Wir hatten es gemeinsam entdeckt: eine große Wiese, Hochwald hintendran, mittendrin schlängelte sich ein Bächle, aus dem wir tranken nach dem Küssen. «Sägedobel» wirft Konrad mir noch heute zu – verschwörerisch, verklausuliert für «lieb dich». Er ist immer derselbe geblieben, du kannst auf ihn einklopfen, so viel du willst, und kein Wort kommt heraus, in seltenen, unerwarteten Momenten mal: «Sägedobel.»
Ende der fünfziger Jahre trug ich – auch im Büro, in der Hemdblusenzone – weite, knallbunte Röcke. Meine Farbenfreude war jetzt auch Teil meines Äußeren. Dazu schwarze, hautnahe Pullover mit U-Boot-Ausschnitt, die wir Freiburger Mädle «Leppich-Pullover» nannten. Nach Pater Leppich, dem damals berühmten Wanderprediger, Spitzname «das Maschinengewehr Gottes», der gegen alles Sinnliche (und gegen den Kommunismus) wetterte. Meine Stimmung war freudig, eitel Freude, dass Konrad und ich uns trauten. Dennoch ließen wir es bewusst langsam angehen. Konrad hatte nach den vorgeschriebenen vier Semestern das Examen bestanden, ab Ostern 1958 war er Junglehrer und würde nun von Dorfschule zu Dorfschule wandern. Von jetzt an wollten wir noch zwei Jahre warten, ich drängte darauf: «Zwei Jahre Pause», und ich schlug ihm die Regeln vor.
«Ein Brief in vierzehn Tagen. Mehr nicht. Und keine Schmusbriefe.»
«Gut, Magdalena.»
«Höchstens ein Treffen im Monat. Und nie alleine.»
«Mmmh.»
Jeder sollte noch einmal die Möglichkeit haben, jemand anderen kennenzulernen, unabhängig zu sein. Theoretisch wenigstens; eigentlich waren weder er noch ich frei. Aber wir waren eben keine romantisch Liebenden, und die Umstände waren auch nicht so. Ich weiß nicht, was mich ganz zuletzt noch einmal zögern ließ. Das alte «Drum prüfe, wer sich ewig bindet»? Oder mehr die Angst, die unterschwellig immer da war, ein blindes Kind zu bekommen, und ob ich dann sicher sein kann, sicher genug, dass Konrad nicht davonlaufen würde?
Was er bei seinen Besuchen in Freiburg erzählte, klang gut. An der Dorfschule von Märlingen kam er, obwohl die Leute dort evangelisch waren, gleich zurecht. Mittags aß er in der Gastwirtschaft, die alte Wirtin verwöhnte den «Unterlehrer Weingartner». Überhaupt war das Markgräflerland eine üppige Gegend. Hügel an Hügel, die in die Rheinebene schwingen, Rebhänge und ausgedehnte Obstkulturen. Er war gerade in die Kirschblütenzeit hineingeraten und schwärmte davon, für einen Menschen aus dem inneren Schwarzwald war das ein Paradiesgarten. Und wie Konrad eben war, machte er sich nützlich. Beim Spazierengehen hatte er zufällig gesehen, wie ein hinkender Bauer sich mit dem Spaten mühte, und war stehen geblieben. «Grüß Gott!» – «Grüß Gott, Herr Lehrer!» Es war der Vater eines Schülers. Dem Hof sah man an, es fehlte an Arbeitskräften – ein kriegsversehrter Landwirt, ein zurückgebliebener Knecht, vier halbwüchsige Buben, und keiner schien so recht etwas versetzen zu können. So kam Konrad ab und zu vorbei und half, er ging mit ins Heu und in den Weinberg, lud Mist. Über die Sommerferien blieb er zum Arbeiten in Märlingen, Ende August kannte er das ganze Dorf. Ihm war wohl dort, das spürte ich, wenn er erzählte und mir seine Schwielen zeigte.
Zu seinem Ärger wurde er zum Herbst nach Kandern versetzt, wieder eine Krankheitsvertretung. Von dort ist er nach dem Unterricht mit dem Fahrrad nach Märlingen in die Reben, er konnte doch die Weinlese nicht verpassen, und nachts um eins angesäuselt zurück. Wie die meisten Junglehrer wurde er kreuz und quer durch den Schulbezirk geschickt, drei Monate Kandern, eine Woche Grenzach. Wenn jemand in Lörrach ausfiel, hieß es, fahren Sie nach Lörrach. Samstagabends wusste er nicht, dass er am Montag in Wieslet sein würde und ob da Rechnen oder Heimatkunde anstand. Atzenbach hat er nie gesehen, am Bahnhof standen zwei Mädchen mit einem Zettel vom Lehrer, der Herr Weingartner möge mit dem nächsten Zug nach Steinen weiterfahren. Hier hätte er bleiben können, Steinen war wegen der Textilindustrie eine expandierende Gemeinde. «Das ist nichts für uns, Magdalena.» Eine Stelle ohne Lehrerwohnung, und auf dem freien Markt waren Quartiere zu teuer. Inzwischen hatte Konrad dem Schulrat
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