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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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«Beim Abkratzen hab ich untendrunter einen Artikel gefunden über Erzherzog Franz Ferdinand, wie er in Sarajevo erschossen wird.» Daraufhin besuchte ich ihn. Von außen sah das Schulhaus gar nicht schlecht aus. Es war trutzig in die Landschaft gebaut, bis zur Taille aus Bruchstein, darüber war es das typische Schwarzwaldhaus, also mit Holzschindeln verkleidet und einem tiefgezogenen Dach. Unten befand sich das Schulzimmer mit Nebenräumen, eine Granittreppe führte in die Lehrerwohnung im ersten Stock. Sie war wirklich phantastisch groß, mit vielen Kachelöfen, neun zählte ich, die allerdings sämtlich schadhaft waren. Kein Bad. Die größte Katastrophe war ein Innenklo, das in ein nie gereinigtes Gülleloch ging. Auf dem Örtchen wimmelte es von Jauchekäfern.
    Nachts schlief ich anstandshalber im Wirtshaus gegenüber, zum ersten Mal in einer niedrigen Schwarzwalddachkammer. Von dem altmodischen Bett aus konnte ich mit den Fingern die Decke berühren, unheimlich, diese Enge, und nur ein Fensterchen. Ich fühlte mich sehr, sehr fremd. «Hän Se drübe no de Bach im Cheller?», fragte die Wirtin beim Frühstück. «Welchen Bach?»
    In den Wintermonaten kam Konrad vor lauter Schnee nicht von Tonberg weg. An Allerheiligen kam er zuletzt, mich abholen, wir fuhren zu seiner Mutter nach Herrenschwand. Jahrelang hatte sie gehofft, Konrad würde nicht bei seinem Entschluss bleiben, jetzt hatte sie sich überwunden und wollte mich kennenlernen. Eine kleine, dicke, alte Frau. Wovor hatte sie eigentlich Angst? Ihr war meine Schnoddrigkeit sicherlich nicht sympathisch. Alles hier wirkte eng und ängstlich. Konrad durfte nicht wie sonst auf dem Sofa schlafen, er musste ins Ehebett, neben seine Mutter. Er hätte ja sonst zu mir in die Kammer schleichen können. Wie Karnickel, die man voneinander wegsperrt, kamen wir uns vor. Anderntags Kirche, ich neben Konrad, oben von der Empore beobachtete uns ein junger Verwandter. «Deine Braut hat den untersten Mantelknopf nicht zugehabt», sagte er später zu Konrad.
    Hoffentlich kriegt er die Öfen flott, dachte ich oft in meiner warmen Mansarde. Freiburg – Tonberg, im Winter eine gewaltige Entfernung, wie ins hinterste Norwegen.
    Im Frühjahr kam endlich Nachricht von ihm, Hauptthema des Briefes war der Zustand des Kellers: Das kleine Rinnsal dort hatte sich durch die Schneeschmelze in einen reißenden Bach verwandelt, der auf der Gartenseite wieder herausschoss, in einer Riesenfontäne. Ich möge mich aber bitte nicht sorgen. «Der Bach oder ich», habe er dem Schulrat mitgeteilt. Tatsächlich schafften Konrad und die Behörde es, die Gemeinde dazu zu bewegen, das Stück Bach zu kanalisieren. Bis zur Hochzeit sollte außerdem in der Speisekammer ein Bad eingebaut werden.
    Beinahe wären wir doch aus unserem Zeitplan geraten. Konrad war noch nicht ganz schuldenfrei, allerdings ziemlich nahe dran, er hatte durch irgendeinen Umstand rückwirkend Waisenrente bekommen. Auf Rat eines Pfarrers bat er die Kirche, ihm die kleine Restschuld zu erlassen. Sie tat es.
    Auch ich war frei. Bei der Oberpostdirektion hatte mein Entschluss ziemlich Furore gemacht. «Was, Sie verlassen uns? Zu Fastnacht?» Ausgerechnet zu Rosenmontag hatte ich gekündigt, Magdalena, die zu Fastnacht immer groß auf die Pauke haute. In der Kantine stürmten sie auf mich ein. «Sie wollten doch Beamtenprüfung machen, Fräulein Eglin?» In der Tat, ich war kurz davor, nur noch zwei Monate blieben bis zur Vereidigung. «Ja, aber ich werde keinen Eid ablegen, aus Gewissensgründen», entgegnete ich lachend. Noch einmal richtig auftrumpfen! Niemand verstand mich. Tatsächlich hätte ich mich schwergetan zu schwören, denn ich war mir nicht sicher, ob ich nicht eines Tages Kommunistin würde. Seit dieses Gesetz mit der Einführung der Bundeswehr durchgekommen war, war mir der neue Staat nicht mehr geheuer.
    Noch einmal streunen. Das Münster, St. Lioba, das ganze Areal der nun nicht mehr kenntlichen Trümmerwüste. Irgendwo unter den neu wiederaufgebauten Häusern liegt meine liebe Lehrerin, Fräulein Pfeiffer. Abschied vom Schlossberg, einen ganzen Tag lang sitze ich auf der «Rastewanderer»-Bank, bei Großvater. Wie früher gehe ich dem Duft des Flieders und der Glyzinien nach, alte Wege. Viele dauern länger, sind beschwerlicher geworden, vor allem durch die Autos. Freiburg 1960 ist motorisiert, auch Straßenbahnfahren gefährlich für mich. «Nicht abspringen, Magdalena!» Schon lange tue ich das nicht mehr. Die

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