Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
Schnelligkeit, der Krach, der alle anderen Geräusche niedermacht, bedeuten für mich: Langsamkeit.
Für die Trauung hatten wir eine Dorfkirche gewählt, unterhalb des Schauinsland, die ich seit Kindertagen kannte: Großvaters «Kirchle» in Horben, das er als junger Malermeister angestrichen hatte. Wir wollten einen ganz normalen Gemeindegottesdienst, ohne Extras, nur die engere Familie war geladen. Alles Nötige zahlten wir selbst, von daheim nichts, wir heirateten ja auf eigene Gefahr. «Was wünschst du dir?», fragte der eine oder andere. «Ich wünsche mir eine Salatschüssel. Ich wünsche mir einen Wassereimer. Über einen Wäschebengel würde ich mich sehr freuen.»
Vierzehn Tage nachdem wir das Standesamt absolviert hatten (ich in Grau, mit dunkelrosa Tulpen), war es so weit. Morgens um halb acht bin ich auf den Markt, gelbe und weiße Freesien kaufen. Alles wie ausgedacht, ein Dreieck sollte der Brautstrauß werden, weiß, gelb, weiß. Um neun stand ich noch in der Gartenschürze und band die duftige Schleife um die Stiele, derweil im Esszimmer die steife Gesellschaft Kaffee und Likör getrunken hat.
«Bist du denn immer noch nicht fertig, Magdalena?»
«Doch, gleich.»
«Den Brautstrauß schenkt doch der Mann», flötete meine Patin Gertrud.
«Wir machen das anders!» Ich war so froh, so stolz.
«Hoffentlich geht das gut mit den beiden», tuschelten sie, immer wieder solche Sätze. Sie perlten an diesem Tag von mir ab. Diese ganze biedere, traurige, ängstliche Welt konnte uns gestohlen bleiben. Dieser Tag war unser Freiheitstag!
Meine Mansarde oben war schon leergeräumt, nur noch der große Holzkoffer stand geöffnet da, darauf ausgebreitet mein Hochzeitsstaat. Das weiße kurze Kleid, der Schleier, alle Handgriffe hatte ich vorher genauestens eingeübt. Ohne Hilfe bin ich in einer halben Stunde fertig gewesen, wie in Trance ging alles. Konrad holte mich ab und legte mir ein goldenes Kreuzle um den Hals, noch immer benommen ging ich an seinem Arm die vier Treppen hinunter. Erst im Auto kam ich zu mir, als Konrad flüsterte: «Ich hab was für dich», und die alte Bärenhandpuppe aus der Innentasche seines Anzugs zauberte.
Wir sind ein hübsches Paar. Auf den Fotos, die uns später nach Tonberg geschickt wurden, ist es verewigt: ich schlank und rank, mit hochgerecktem Kinn, Konrad in Schwarz, ohne jede Pose, einfach ein starker, in sich ruhender Mann. Auf einem der Fotos stehen wir am Altar, die Blicke nach oben gerichtet, wie wenn wir sagen wollten: «Gott sei Dank, wir haben es geschafft!» Den Rest des Tages bewältigten wir mit Leichtigkeit. Im Restaurant gab es als Vorspeise auf besonderen Wunsch meiner Schwiegermutter, die davon in der Zeitung gelesen hatte, Schildkrötensuppe.
Im vollen Ornat sind wir an diesem 19. April 1960 noch eben mit der Straßenbahn zu Konrads Vermieterin gefahren und haben uns bedankt für ihre Toleranz und den Mut, meiner Schwiegermutter zu sagen, dass ich kein schlechtes Weib bin.
Gegen sechs Uhr endlich brachen wir auf. Meine Eltern haben uns mit dem Volkswagen gebracht. Vater qualmte unterwegs die ganze Zeit Zigarre. Und Mutter, das spürte ich, war still zufrieden, dass eines ihrer Kinder, das schwierigste, unter der Haube war. Es dämmerte schon. Kurz vor Tonberg, in einer engen Serpentine, bremste Vater scharf und machte fluchend die Scheinwerfer an. Die Eltern sind gleich zurückgefahren, sie sind nicht mehr mit hoch in die Wohnung gekommen.
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Juli
Im Goldparmänenbaum knacken die hitzegedörrten Äste. Seit Wochen bewege ich mich um ihn herum, in einem Radius von dreißig, maximal vierzig Metern. Montag: Bohnen abspitzen. Dienstag: Bohnen abspitzen. Mittwoch: wieder Bohnen abspitzen. Auf dem Steintisch, neben dem grünen Haufen, der ständig nachwächst wie der Brei im Schlaraffenland, steht immer einsatzbereit mein Recorder. Kopfhörer aufgesetzt, und Klick! «… Der Kolonist zieht durch die undurchdringliche Taiga und watet bald mit den Füßen im Wasser», erzählt die Männerstimme, «dann wieder verheddert er sich in den stachligen Büschen des wilden Rosmarins.» Bereits gestern war von diesem «Rooosmarin» die Rede, für meinen Geschmack dehnt der Vorleser manche Vokale ein wenig zu lang. Manchmal singt er sie geradezu. «Die Flooora trägt richtigen Pooolaaarcharakter.» Den ganzen Juli schon reise ich mit Anton Tschechow durch Sachalin, folge dem dreißigjährigen russischen Arzt und Dichter, der im Sommer 1890
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