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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Einschnitte. Konrad sprang die Matten runter wie nichts, behände wie eine Geiß. Er kannte, da er hier schon ein Jahr verbracht hatte, alle Abkürzungen, jenseits der schmalen, geschlängelten, einzigen Straße. Nachts, auf dem Heimweg, wenn er Eltern besucht hatte oder von Treffen mit den Kollegen vom Katholischen Lehrerverein zurückkam, hangelte er sich oft von Baum zu Baum, so dunkel war es.
    Für mich war diese Berglandschaft vor allem beschwerlich. Fast nirgends war es eben, du konntest jederzeit aus der Balance geraten, kippen. Du musstest aufpassen, wo du die Schubkarre hinstellst, damit sie dir nicht abhaut. Auch die Orientierung nach Himmelsrichtungen, die ich an sich gut beherrschte, musste ich hier neu lernen. Du willst eigentlich nach Süden, musst aber wegen eines unwegsamen Tals oder weil ein Bach, über den keine Brücke führt, den Weg versperrt, erst nach Norden laufen, dann westwärts. Und fortbewegen musste man sich ja, denn unser Dorf war wirklich sehr, sehr abgelegen. Außer Milch konnte man dort nichts kaufen, im vier Kilometer entfernten Kirchdorf auch nur weniges.
    Am zweiten Tag nach der Hochzeit sind wir hinunter in die kleine Stadt Zell gefahren, auf Konrads rotem Moped. Es trug uns lässig, wir waren ja beide schmal. Bergauf, die zwölf Kilometer hoch mit all den Einkäufen, ging es nicht so gut. Später hab ich das mit dem Bus erledigt, der dreimal täglich vor unserer Tür abfuhr. Alle zwei Wochen, freitags, war Einkaufstag, im Winter alle vier Wochen. Das Wichtigste war also, einen Kühlschrank zu haben. «Kühlschrank oder Hochzeitsreise?» war die Frage, als wir uns für Tonberg entschlossen. Wenn Hochzeitsreise, wäre sie nach Österreich gegangen oder nach Venedig, Gondelfahren auf dem Canal Grande. Eine große Verlockung für mich, einmal wenigstens auf dem Markusplatz sitzen und sündhaft teuren, rabenschwarzen Kaffee dort trinken. Konrad war der Kühlschrank mehr als recht. Er ist kein Reisemensch, wenn er mal wo ist, bleibt er. Bei mir siegte bald der Realismus. Was habe ich von einer Hochzeitsreise, wenn ich nachher an einer verdorbenen Wurst sterbe? In dem Junggesellenjahr hatte Konrad im Sommer die Öfen als Frischhalteräume benützt, einer war der Speckofen, ein anderer der Butterofen. Zu Beginn der Heizperiode hatte er die verderblichen Sachen einfach nach draußen gehängt, wie die Einheimischen es taten.
    «Wie gfallts ne bii üs, Frau Lährer?», fragten die Leute.
    «Anderscht wie in Friburg. Schön ischt’s do. Und bitte, sagen Sie nicht Frau Lährer. Mein Mann ist Lehrer. Sagen Se ‹Frau Weingartner›.»
    Nichts konnte sie abbringen von diesem blöden «Frau Lääährer», möglichst mit drei «ä» und sechs «h». Nach und nach lernte ich das Dorf kennen, die dralle, freundliche Wirtin von gegenüber und die zwei wortkargen Bäuerinnen, wo ich abwechselnd Milch holte. Regelmäßig begegnete ich der «Schuelwüschere», unserer Reinemachfrau. Diese resolute Person wohnte zwei Häuser unter uns und kam täglich, um die Klasse sauber zu machen und die Toiletten zu putzen, dort Unmengen von Salmiak zu versprühen, dass es bis oben in unsere Wohnung stank. Denn die kleinen Buben haben wild in der Gegend rumgepieselt, Kloschüsseln waren für die Erst- und Zweitklässler noch ungewohnt. Zu Hause gingen sie hinter den Busch oder in den Stall zum «Brünsle», erklärte mir die «Schuelwüschere», ein Klosett sei auf den Höfen nur für die großen Sachen da. Eine mir wohlgesinnte Frau, wie ich merkte, an die ich mich wenden konnte, wenn es was zu fragen gab. Wie macht man Sauerkraut? Von ihr erfuhr ich manches aus dem Inneren des Dorfes, Ehekrach, Brandstiftung, Unfälle, Geheimnisse, auch aus lange vergangener Zeit. Warum hinkt Peter Jockel? Was erwartet das Dorf von mir? «Wenn Se emol e Sohn hän, no mien Si aber a Huet kaufe», sagte sie im Laufe des ersten Sommers, vermutlich in der Annahme, ich müsste doch jetzt allmählich schwanger sein. «A aständige Huet.» In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete und mich veranlasste, den Vorsatz zu fassen, im Falle einer Sohnesmutterschaft sofort das nächste Hutgeschäft aufzusuchen.
    Sobald ich trittsicher war im Dorf, stellte ich mich irgendwo auf oder setzte mich an die Bushaltestelle, auf die Bank unter der alten Linde, und habe dem Leben nachgelauscht, den fremden Wörtern vor allem. Mein bester Gesprächspartner war ein fünfjähriges Mädle, es saß meist in einer Trainingshose auf einem hölzernen

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