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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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die werden staunen, volle Lautstärke und ab: «Donau so blau, so blau, so blau.» Die Gratulanten waren so erschrocken, dass sie davonsprangen wie die Hasen. Danach blieb es still, wir widmeten uns wieder ganz dem begonnenen Vorhaben. Diesmal gelang es.
    Einer der ersten hausfraulichen Akte der Magdalena Weingartner war, die hochzeitlichen Leintücher richtig sauber zu kriegen. Jeder im Dorf würde natürlich nach der Wäsche linsen, sie war von der Straße aus sichtbar, ob ich sie auf dem Balkon aufhängte oder draußen auf der kleinen Wiese am Haus. Konrad half mir, das Feuer unter dem Waschkessel zu entfachen, und weil mir niemand zur Hochzeit einen Wäschebengel geschenkt hatte, ging er in den Wald und holte ein kleines Buchenbäumle. Damit rührte ich und rührte, eine Stunde, zwei Stunden. Was passierte? Wir hatten nicht bedacht, dass die Gerbsäure von dem jungen, kaum geschälten Holz abfärben würde. Große braune Flecken prangten auf beiden Laken, während mein Auge darüber wanderte, entdeckte ich immer mehr, Dutzende – ein Albtraum. Die Nachbarfrauen würden sich gewiss das Maul zerreißen. «Was hän die bloß gmacht in de Hochzeitsnacht?»
    Ohnehin fürchtete ich mich sehr vor den anstehenden Begegnungen. Wenn die im Dorf erst mal merken, wie wenig ich sehe, dachte ich, dann hab ich verspielt. Eine Lehrersfrau, die nichts sieht, ist ein Unding. Am liebsten wäre ich nur zu nachtschlafender Stunde auf die Straße gegangen.
    «Meine Frau kann alles außer Auto fahren», behauptete Konrad kühn, sein Standardspruch in Tonberg und auch später, über viele Jahrzehnte. Das war natürlich maßlos übertrieben, wie er wusste. Wobei ich nicht ausschließen kann, dass er ein wenig daran geglaubt hat, er selbst sich ein Stück weit hat täuschen lassen, aus Mangel an Phantasie vielleicht, und um sich selbst zu schützen, denn sonst hätte er dauernd Angst um mich haben müssen. Und letzten Endes kann sich kein Sehender, weder Ehemann noch Augenarzt, ganz exakt vorstellen, wie es sich lebt mit etwa zwei Prozent Sehkraft, und das wiederum ist bei jedem Einzelnen ganz verschieden. Die Fähigkeit zur Weltorientierung in Prozenten ausdrücken zu wollen ist purer Quatsch. Jedenfalls ging Konrad von der Grundannahme aus, ich könnte dies und das und jenes, nicht wie die meisten anderen Menschen vom Gegenteil. Im Prinzip kann die Magdalena alles, «fertig ab».
    Er traute mir ohne weiteres zu, dass ich eine brauchbare Hausfrau würde, und dafür liebte ich ihn. In der Praxis war ich allerdings noch Lichtjahre davon entfernt, der Alltag in Tonberg war ein einziges Stolpern und Nicht-wissen-wie. Übergekochte Töpfe, verkohlte Sonntagsbraten. Unsere erste Maibowle zum Beispiel musste ich durchsieben, weil ich sie versehentlich mit Gries statt mit Zucker verschönert hatte. Bettenmachen konnte anfangs den halben Vormittag dauern. Zeiteinteilung, das größte aller Kunststücke – für das Bürofräulein Magdalena waren Reihenfolge und Rhythmus der häuslichen Pflichten ziemlich neu und fremd. Wieder ein neues Kapitel und immer dasselbe alte Thema: Gegen die Blindheit lebst du an, indem du den Alltag bewältigst.
    In Tonberg war die Natur viel später dran als in Freiburg. Ende Mai war Wiesenzeit, Frühling in seiner buntesten Form. Hinter dem Schulhaus ging ein Sandweg hoch, in einem großen Bogen, in ein Tal voller Trollblumen und weißem Hahnenfuß. Auf der anderen Seite vom Bach wuchsen Vergissmeinnicht und Storchenschnabel, später kamen die Knöterichsorten dazu, der rosarote und der dunkelrote, «Blutströpfle» genannt. Hohe schwankende Gräser und Margeriten, Konrade, Skabiose, Günsel, immer mehr Farben, an einigen wenigen Tagen war alles gleichzeitig da. Und wenn man den Hang hochging, war dort noch Winter. Man konnte da oben unter den Tannen Schneereste finden, und mit dem Schnee in der Hand wieder, mit zehn, fünfzehn Schritten, in den Frühling reinlaufen. Im Juni war die erste Mahd, das Heu duftete intensiv und würzig, wir ließen deswegen im Frühsommer nachts das Fenster weit auf.
    Korn hat es nicht viel gegeben, ein wenig Roggen, ein wenig Gerste auf den an den Hang geklebten, kleinen Feldern, die noch mit Ochsen gepflügt wurden, Weizen überhaupt nicht. Aber viel Wald, Mischwald, der ebenfalls reich an Düften war und gemeinerweise auch reich an Bienen. Eine topographisch stark gegliederte Landschaft – ein Tal, von dem ein Seitental abzweigt und noch eines, lauter kleine und etwas größere

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