Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
einige Jahre seine Sesshaftigkeit aufgegeben. Auch, um etwas wiedergutzumachen, als Sühnezeichen. Das war in unserer Generation, die in der Nazizeit geboren wurde, ein häufiger Wunsch, geradezu eine Sehnsucht. Wir waren zu jung, um schuldig zu werden, und andererseits zu jung, um zu helfen. Mit meinen damals zehn Jahren hätte ich die Anita aus der Angell-Schule nicht retten können. Der Kibbuz ist ein Versuch gewesen, aus der Ohnmacht herauszukommen.
Oft habe ich mir diesen See Genezareth ausgemalt. Riesig ist er angeblich und sehr, sehr tief, je nach Wetter mal braun, mal dunkelblau, und wenn die Sonne auf den Golanhöhen untergeht und diese sich im Wasser spiegeln, rosarot. Die fruchtbare Landschaft am Ufer, die nach Zitronen und nach Eukalyptus duftet. Und «nach Feigen», davon hatte ein Studienkollege von Konrad erzählt, ein junger schwärmerischer Priester, der gerade aus dem Heiligen Land zurückgekehrt war. «Wie riechen Feigen?» – «Süß wie sonst nichts, und grün.» Am Genezareth soll es Pelikane geben, die wie Esel schreien, und viele, viele Flamingos.
Statt im großen Kollektiv unter frohen Gesängen Bananenplantagen anzulegen, schafften wir brav in unserem Schulgarten. Ein abschüssiges Stück Land, das schon länger verwilderte, weil unsere Vorgänger – meist Junglehrerinnen, die das Schulamt nach Tonberg beorderte – immer nach kürzester Zeit Reißaus genommen hatten. Konrad hat in jeder freien Stunde heroisch gerodet.
Unser Garten war so gelegen, dass man von der Straße aus reingucken konnte. Was machen die denn da? Ich hab immer mit dem Rücken zur Mauer gekniet, wenn ich jätete, und oft hab ich geheult, weil ich Salat nicht von Unkraut unterscheiden konnte. Konrad war damals auch alles andere als ein Meister im Gärtnern. Abends, in der Dämmerung, ist er im Dorf spionieren gegangen, hat über die Zäune geguckt, was sich in den anderen Gärten gerade tat.
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Gärtnern und Schreiben
Ich habe einen Mann geheiratet, der gern verschwindet, besonders im Sommer. Im Juli 1960fing es an, in unserem ersten Ehejahr, mit den großen Ferien. Sie begannen früher als erwartet und für mich gänzlich unpassend. Damals waren die Ferientermine auf dem Lande beweglich, das Datum stand nie genau fest, es richtete sich nach dem Wetter und der landwirtschaftlichen Arbeit. Wenn geheut oder das Korn geschnitten werden musste, ging es los, bei uns im Schwarzwald später, in der warmen Rheinebene früher. Wo Sonderkulturen waren, noch anders, im Kirschengebiet legten sie im Juni schon mal eine Ferienwoche ein, wieder anderswo brauchte man zur Weinlese Teile des Septembers.
Am Samstagmorgen, es war noch früh im Juli, stand ein Bauer vor dem Schulhaus und rief: «Herr Lehrer, de Radio hett gut Wetter broocht. Wir bruche d’ Kinder.» Also schloss Konrad kurzerhand die Schule ab, verkündete per Buschtrommel: «Sagen Sie es weiter», ab Montag seien Ferien. Noch am selben Tag packte er sein Rucksäckle und stürzte sich selbst in die Landarbeit.
«Magdalena, du kommst doch zurecht?»
«Ja, Konrad!»
Eigentlich kam ich überhaupt nicht zurecht. Eigentlich wollte ich mit ihm Ausflüge machen, ein wenig Honigmond nachholen, den wir in Venedig hätten haben sollen, und ich wollte auch nicht allein sein in dem großen Haus, in dem fremden Dorf.
Meistens machte sich Konrad in den Nachbardörfern nützlich, wo keine Schüler von ihm wohnten, in Tonberg hätte das leicht zu Eifersüchteleien führen können. Häufig fuhr er mit dem Moped sechzig Kilometer hinunter bis Märlingen, ins liebliche Wein- und Obstrevier. Dort blieb er wochenlang. Samstags kam er manchmal unangekündigt nach Hause, spät in der Nacht und wahrscheinlich nicht mehr ganz nüchtern. Wie ein Zirkusartist jonglierte er seine Beute durch die kurvigsten Täler, über die waldigen, dunklen Buckel – Körbe, Kartons, zusammengebastelte, aberwitzige Behältnisse, voll mit Naturalien. Er schaffte ohne Lohn, aber natürlich fiel immer etwas für ihn ab. Infolgedessen hatte auch ich zu tun, eine Mopedladung hieß drei Tage einmachen.
Konrad brauchte diese Touren, verstand ich bald. Er brauchte das In-der-Erde-Wühlen, das Körperliche, dieses Elementare, das keine Sprache erforderte, als Ausgleich zum Lehrerleben, in dem er so viele Worte machen musste und das seine Seele unruhig werden ließ. Dadurch hat er sich auch bei den Bauern im Dorf Anerkennung erworben. Lehrer, die mehr können als Bleistiftspitzen, sagten sie,
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